Krisenfest handeln – in Szenarien denken
Diskussionspapier der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin. Das Papier gibt den Diskussionsstand von Mitte Januar 2021 wieder, der sich wegen der sehr dynamischen Lage immer wieder ändern kann.
Kein normales Schuljahr
Das laufende Schuljahr 2020/21 ist alles andere als ein normales Schuljahr. Auch, weil bis auf die Erstklässler*innen alle Klassenstufen bereits das Corona-Frühjahr zu bewältigen hatten und zu befürchten steht, dass die Schüler*innen gewisse Lernrückstände bereits in dieses Schuljahr mitgebracht haben. Zu Schuljahresbeginn war man dann zwar offiziell wieder im Regelbetrieb. Der Stufenplan machte im Herbst aber deutlich: So ganz wie immer lief es nicht. Dank der schulindividuellen Betrachtung konnte bis Weihnachten aber dennoch von einer weitgehenden Regelbeschulung die Rede sein, auch wenn immer wieder Schulen, Schulklassen oder einzelne Erkrankte in Quarantäne mussten.
Der 16. Dezember war dann der vorerst letzte reguläre Schultag. Je länger der Lockdown noch anhält bzw. die Inzidenzzahlen so hoch sind, sodass kein Präsenzunterricht stattfinden kann, desto mehr wächst die Sorge. Und zwar nicht nur um die Abschlüsse.
Die Ungewissheit, wie es mit der Pandemie weiter geht, darf nicht länger dazu führen, dass wir bei allen Entscheidungen auf Sicht fahren. Das gegenteilige Prinzip muss unser weiteres Handeln bestimmen: In dieser Notlage müssen wir alles tun und alles bereithalten, was notwendig ist, um jede Variante, die eintreten kann, gut bewältigen zu können. Das bedeutet, dass wir einen Corona-Modus für die Schulen finden müssen, der länger aufrechterhalten werden kann unter Wahrung des Infektionsschutz und dem Recht auf Bildung.
Kinderschutz – Betreuung – Bildung und Erziehung
Diese Schulprobleme im engeren Sinne stehen im Zentrum dieses Papiers. Auch wenn uns klar ist: Schule hat viele Funktionen. Bei den Diskussionen um die pandemiebedingten Problemlagen hat “Schule” auch deshalb eine prominente Stellung eingenommen, weil realisiert wurde, dass Schulen mehrere Funktionen erfüllen. Sie können Schutzort sein, sie dienen, insbesondere auch im Ganztag, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, und sie sind selbstverständlich der zentrale Ort formalen Lernens – um nur drei Funktionen grob zu benennen. Wir halten es für sinnvoll, diese drei Ebenen in den Diskussionen zumindest weitgehend voneinander getrennt zu betrachten, um zu den bestmöglichen Lösungen zu kommen.
Klar ist: Ein Schulbesuch in Notbetreuung ist kein Ersatz für das Kinderschutz-System. Gerade weil mit dem Lockdown neben dem schulischen Ganztag auch weite Teile der Jugendhilfe, Jugendfreizeiteinrichtungen, Sportvereine und sonstige Freizeitangeboten geschlossen sind, müssen die Jugendämter und der Regionale Soziale Dienst weiter erreichbar sein und müssen Erziehungs- und Familienberatungsstellen und andere Beratungsmöglichkeiten ihre Angebote wieder digital zur Verfügung stehen; dringend aufrecht erhalten werden muss die Funktionsfähigkeit der Familiengerichte, stationären Unterbringungsmöglichkeiten, der Kinder- und Jugendlichen-Psychiatrien und Psychologischen Hilfsangebote. Bei allen, die dazu beitragen, bedanken wir uns sehr herzlich!
Die Themenbereiche haben Überschneidungspunkte, und dennoch ist das Problem der Betreuung nicht mit dem Thema Kinderschutz gleich zu setzen.
Homeoffice und Distanzlernen/Fernunterricht sind und bleiben für alle Betroffenen eine enorme Belastung. Die zeitlichen, emotionalen und materiellen Ressourcen der Familien sind unterschiedlich, und bei sehr vielen sind diese Ressourcen mittlerweile weitestgehend erschöpft. Existenzängste und Überforderungsgefühle erzeugen enormen Druck, auch auf das Eltern-Kind-Verhältnis.
Hinzu kommt, dass Wechselmodelle und Distanzunterricht zwar besser funktionieren als im vergangenen März, dennoch sind die Unterschiede von Schule zu Schule und von Lehrkraft zu Lehrkraft groß. Insgesamt können sich viele Familien deshalb nicht mehr vorstellen, dass ihre Kinder dieses Schuljahr bewältigen können und die Benotungen gerecht sein werden. Hier ist es die Aufgabe der Politik, Druck aus dem System zu nehmen.
Zur Wahrheit gehört: Wir können nicht alle Probleme kurzfristig lösen. Die soziale Schere wird in dieser Pandemie weiter auseinander gehen und wir werden noch Jahre damit zu tun haben, die Folgen dieser großen Krise zu bewältigen.
Mögliche Szenarien für den Schulbetrieb
Derzeit ist nicht davon auszugehen, dass vor den am 24. Juni 2021 beginnenden Sommerferien ausreichend viele Menschen geimpft sein werden, um die Pandemie unter Kontrolle bekommen zu haben. Zwar sollte die Impfstrategie, zuerst die Ältesten und die Risikogruppen zu impfen, hoffentlich zu einer Entlastung der Krankenhäuser führen. Dennoch muss eine Priorität auch weiterhin auf dem Absenken der Inzidenzwerte liegen. Die Diskussion um ein Vorziehen von Bildungspersonal in den Impfgruppen hängt von der Stiko-Entscheidung im Bund ab und von einer ausreichenden Menge an Impfstoff. Sollte dieser vorhanden sein, ist es aber eine Frage, die in Erwägung gezogen werden muss. Bis dahin sollten Mitarbeiter*innen der Bildungseinrichtungen die Möglichkeit haben in den Impfzentren spontan nicht verimpften Impfstoff zu erhalten.
Es ist unrealistisch, davon auszugehen, dass die Inzidenzwerte bereits Ende Januar unter 50 liegen werden. Man muss sogar davon ausgehen, dass ein Mittelwert 50 für ganz Berlin vermutlich auch im Februar und März nicht erreichbar ist – vor allem wenn die Virusvariante aus Großbritannien negative Auswirkungen für Berlin hat. Gleichzeitig ist politisch noch völlig unklar, ab wann und für welche Jahrgangsstufen es oberhalb dieses mindestens angezielten Inzidenzwertes eine Wiedereröffnung der Schulen, zumindest im hybriden Wechselmodell, geben kann bzw. auch sollte.
Dazu ist die bundesweite Entwicklung der Zahlen, der Studien und der Diskussion abzuwarten. Denn in der Pandemie ist eine breit getragene Lösung wichtig. Genauso wichtig ist, dass es eine perspektivische Planbarkeit an den Schulen gibt. Eine schulindividuelle Betrachtung mittels Stufenplan würde wohl angesichts des breit verteilten und hohen Inzidenzwerte zu einem unsteten Schulalltag führen. Aus diesem Grund braucht es neue Ansätze.
Wichtig ist hierbei zu beachten: anders als im Bereich der Jahrgangsstufe 7-13 benutzen Grundschüler erheblich seltener für den Schulweg öffentliche Nahverkehrsmittel. Ihr Weg zur Schule stellt keine gefährdende Mobilität dar, die Unterrichtssituation selbst kann in halben Gruppen vertretbar gestaltet werden. Zudem zeigen die Infektionszahlen bei Kindern im und unterhalb des Grundschulalters deutlich geringere Ausschläge. Regionalisierte Inzidenzwerte sind daher für Grundschulen sinnvoll und könnten eine schnellere Rückkehr zum Schulbesuch ermöglichen.
Plan A:
Nach den Winterferien – nach vier Wochen Lockdown – zu Unterricht im Wechselmodell (je Schule in dem von ihr entwickelten Alternativmodell) zurückkehren zu können wäre aus schulischer, pädagogischer und gesellschaftspolitischer Sicht ausgesprochen wünschenswert. Die oberste Priorität sollte dabei auf den Jahrgangsstufen 1-6 liegen. Sollte dies möglich sein, wäre das Schuljahr noch zu retten, selbst wenn der Wechselunterricht bis zur Sommerpause andauern würde. Dabei wären Wechselmodelle mit tageweisen Anwesenheiten innerhalb einer Woche bzw. Vormittag-Nachmittag-Wechselmodelle zu bevorzugen gegenüber wochenweisen Wechselmodellen. Die Berliner Schulen haben solche Modelle vorbereitet, die nun schulgenau umgesetzt werden können.
Plan B:
Mit zu bedenken ist aber durchaus auch ein Szenario, bei dem die Schulen bis zu den Osterferien am 29. März geschlossen bleiben, und damit weitere sieben Wochen lang Unterricht nur in Form von komplettem Distanzunterricht möglich wäre. Dies hätte insbesondere für die Grundschulen so gravierende Auswirkungen, dass kaum mehr von einem regulären Schuljahr gesprochen werden könnte. Wir sollten als Land alles tun, um das zu vermeiden.
Aber klar ist auch: das wäre nicht nur eine Entscheidung der Politik. Sondern es sollen auch die Schüler*innen und ihre Familien für sich entscheiden können: Will ich dieses Schuljahr wiederholen? Diese Möglichkeit sollte ohne Nachteile für die Schüler*innen eröffnet werden; die Wiederholung soll nicht auf die Zahl der möglichen Wiederholungen angerechnet werden. Zur Möglichkeit des Wiederholens soll eine begleitende Bildungs(laufbahn)beratung stattfinden, damit nur die tatsächlich wiederholen, für die es sinnvoll und notwendig ist.
Wir müssen alles daran setzen, spätestens ab 12. April die verbleibenden 10,5 Wochen des Schuljahres bis zu den regulären Sommerferien Unterricht im Präsenzmodus stattfinden zu lassen.
Starken Infektionsschutz an den Schulen implementieren
Da die Pandemie noch bei weitem nicht besiegt ist, können nur ganz klare Maßnahmen zum Gesundheitsschutz der Schüler*innen und ihrer Familien sowie zum Schutz der Beschäftigten eine Teil-Wiedereröffnung der Schulen überhaupt wieder denkbar machen.
Es darf deshalb kein Tag mehr verschwendet werden, alles für den Gesundheitsschutz aller Beteiligten zu tun, um ihnen einen Schulbesuch verantwortungsvoll zu ermöglichen. Nach den Winterferien muss eine Schnelltest-Strategie für das Schulpersonal und Schüler*innen in Umsetzung sein; allen schulischen Akteuren müssen FFP2-Masken zur Verfügung stehen und für die Klassenzimmer sollten möglichst flächendeckend Luftfilter zur Verfügung stehen – ob selbst gekauft, vom THW eingebaut oder vom Land bzw. den Bezirken regulär beschafft. Die aktuellen Beschaffungsverfahren müssen deutlich entbürokratisiert und beschleunigt werden. Mitarbeiter*innen von Schulen, Kitas und Jugendhilfeeinrichtungen sollten so schnell wie möglich geimpft werden.
Dies alles ist gerade dann unerlässlich, wenn man sich eine Rückkehr zu mehr als nur Wechselunterricht überhaupt erhoffen will.
Unerlässliche Sofort-Maßnahmen
Gleichzeitig muss alles getan werden, um das Entstehen von größeren Lernrückständen schon im Ansatz zu verhindern.
Um sicherzustellen, dass auch in Schulen, in denen ein relativ hoher Anteil von Kindern vor Ort betreut werden muss, wirklich in kleinen Gruppen mit ausreichend Abstand agiert werden kann, sollen bei Bedarf auch Räumlichkeiten von Jugendfreizeiteinrichtungen und Kulturorten, deren Wiedereröffnung nicht so bald zu erwarten steht und die kurz- und mittelfristig auch nicht für alternative künstlerische Zwecke genutzt werden können, sowie anderen geeigneten Orten genutzt werden. Gerade in Co-Working-Spaces, Läden und Cafés oder Ähnlichem sind zumindest die digitalen Anschlüsse besser als an den meisten Schulen. Unter anderem die dort beschäftigten Sozialarbeiter*innen können bei der Beschulung unterstützen. Aber auch viele weitere Berufsgruppen, die derzeit unterbeschäftigt oder ganz zur Untätigkeit gezwungen sind, können und sollen jetzt mit herangezogen werden, um die Kitas und Schulen bei der zusätzlichen Nutzung dritter Orte für Betreuung und Bildung zu unterstützen. All dies hat das Abgeordnetenhaus bereits im letzten Sommer beschlossen und beim Senat in Auftrag gegeben!
Das Lernbrücken-Programm hat sich in der ersten Pandemie-Phase bewährt. Es ist nötig jetzt die Entscheidung zu treffen, es fest zu institutionalisieren. Umso mehr muss es jetzt, wo wir uns wieder in einem längeren Lockdown befinden, umgehend wieder aufgelegt werden.
Gleichzeitig müssen wir davon ausgehen, dass nur flächendeckende zusätzliche freiwillige Lern-Angebote in den Ferien verhindern können, dass sehr viele Kinder und Jugendliche große Lernrückstände in ihre weitere Schullaufbahn hindurch mitschleppen. Diese Angebote müssen jetzt! auf den Weg gebracht und für alle Klassenstufen angeboten werden. Sie sollten, insbesondere in den Sommerferien, auf dem Rahmenlehrplan aufbauen, gleichzeitig aber über reine Schulstunden weit hinaus gehen und auch berufsorientierende Angebote umfassen. Aber wir sollten nicht bis zum Sommer warten: schon jetzt stehen zahlreiche mögliche außerschulische Kooperationspartner bereit, und soweit es irgendwie machbar ist, könnten Programme schon in den Winterferien starten, auf jeden Fall aber ab den Osterferien.
Außerdem sollte auch der rbb endlich ein Schulfernseh- und -rundfunkprogramm auflegen.
Glasfaser und strukturierte Verkabelung der Gebäude – darauf müssen wir leider!! Noch länger warten. Aber manch andere Maßnahme könnten kurzfristig einsetzbare und nützliche Unterstützungen für das digitale Lernen sein. Deshalb ist dringend zu klären, ob die versprochenen 50 000 Tablets für bedürftige Schüler*innen nicht nur angeschafft, sondern auch bei den Kindern angekommen sind. Es ist festzustellen, ob damit alle Schüler*innen mit Endgeräten versorgt sind. Wenn nicht, muss Berlin zusätzliche Geräte aus Landesmitteln zur Verfügung stellen. Außerdem muss umgehend von den Mitteln für zusätzliche IT-Administrator*innen aus dem neuen Bundesprogramm Gebrauch gemacht werden. Der Bund verlangt, zusätzliche eigene Aktivitäten in diesem Bereich nachzuweisen. Unser Vorschlag ist, einen Topf aufzulegen, aus dem Schulen sich Ed Tech Coaches „einkaufen“ können, um Unterstützung zu erhalten bei der konkreten Umsetzung guten hybriden Lernens. Außerdem könnte die Unterstützung des Kaufs von SIM-Karten für Schüler*innen (Stichwort: Bildungsflatrates) ein Baustein sein, der die fehlende Breitband-Anbindung temporär überbrückt. Es soll geprüft werden, ob dies aus dem Digitalpakt finanzierbar ist; andernfalls soll den Schulen ermöglicht werden, dies für die Zeit der Pandemie aus den Lehr- und Lernmitteln zu bezahlen.
Für Entlastung sorgen
Die Pandemie ist eine enorme psychische wie physische Belastung für uns alle. Deshalb geht es auch beim Thema Entlastung nicht nur um die Abschlussjahrgänge bzw. die Prüfungsanforderungen für die Schulabschlüsse, sondern auch um die Pädagog*innen. Notwendig ist hier ein Quick Check, welche praktischen Erleichterungen auf den Weg gebracht werden können. Denkbare Maßnahmen, gerade für die Grundschulen etwa wären:
- Die Zahl der geforderten Klassenarbeiten – sie sind aufwändiger als man denkt! – in den Hauptfächern von zwei auf eine zu reduzieren, indem Ersatzleistungen wie Präsentationen oder Recherchen, die zuhause erledigt wurden, geltend gemacht werden können.
- Den Aufwand bei der Zeugniserstellung zu verringern, etwa indem den Schulen freigestellt wird, dass nur eine Deutschnote eingetragen werden muss (und nicht auch die fünf Unter-Kompetenzbereiche).
- Den Aufwand der VERA Arbeiten zu reduzieren, indem allen Grundschulen angeboten wird, die Korrektur der Arbeiten durch externe Kräfte des ISQ stattfinden zu lassen.
Sicher würde eine Kurzabfrage bei Schul-Praktiker*innen schnell viele weitere praktikable Vorschläge erbringen.
Als Ceterum censeo sei vermerkt: Für die Entlastung von Lehrkräften und Schulleitungen wäre es wichtig, dass so schnell wie möglich auch leistungsfähige IT-Technik für die Schulverwaltungsprozesse, Schülerstatistik usw. zur Verfügung steht. Fragen der Schuldigitalisierung im Bereich der Schulverwaltung und der Schnittstellen zwischen Schulaufsicht und Schulamt zur Entlastung aller Beteiligten müssen mehr Aufmerksamkeit bekommen – Stichwort medienbruchfreie Geschäftsprozesse…
Wissen, was passiert
Darüber, wie dramatisch das ist, was gerade mit den Schulen passiert, lässt sich trefflich streiten. Allein die Kontroverse dazu, wie gut hybride Modelle von Wechselunterricht sein können, ist groß – hierzu brauchen wir dringend empirische Begleitforschung. Übereinstimmung herrscht grundsätzlich bei der Befürchtung, dass die soziale (Lern-)Schere durch die Pandemie noch weiter auseinandergetrieben wird. Große Einigkeit wiederum sollte darin bestehen, dass sich Berlin nicht leisten kann, noch mehr Kinder zu verlieren: also noch mehr Schüler*innen zu haben, die die Mindeststandards verfehlen und damit später oft auch die Schulabschlüsse.
Deshalb müssen wir als Land Berlin genau hinschauen und versuchen, möglichst genau zu verfolgen, welche Effekte der wochenlange Verzicht auf Präsenzunterricht hat. Deshalb sollte auch nicht, wie im letzten Jahr verfügt, der einzelnen Schule überlassen bleiben, die Lernrückstände ihrer Schüler*innen zu diagnostizieren, mit selbstgewählten Diagnoseinstrumenten. Auch dürfen die VERA 3-Arbeiten nicht erneut ersatzlos ausgesetzt werden.
Vielmehr ist jetzt der Zeitpunkt, VERA 3- zu VERA-4-Arbeiten zu machen und in diesem Zusammenhang auch deren Akzeptanz zu steigern. VERA 3 ist ein bundesweit abgestimmtes diagnostisches Instrument. Bei VERA geht es nicht darum, aktuell erworbenes Wissen zu testen, sondern Kompetenzen zu erfassen, die sukzessive aufgebaut werden (auch im außerschulischen Kontext) und weniger abhängig sind von ganz spezifischen Unterrichtsinhalten. Die Aufgaben prüfen aber die Kompetenzstände ab, die Schüler*innen am Ende der vierten Klasse haben sollten; sind also für Drittklässler*innen eindeutig nicht passend! VERA in der vierten Klasse zu schreiben, könnte Einiges geraderücken: Wenn Vera 3 wie vorgesehen am 29. April (Mathe) und am 4. und 6. Mai (Deutsch) im Jahrgang 4 geschrieben würde, würde man angemessene Aufgaben mit großer diagnostischer Relevanz einsetzen.
Aus der Perspektive der Bildungsverantwortlichen wiederum würde die Aussagekraft der Ergebnisse für eine Klasse oder den Jahrgang der Schule gerade in diesem anormalen Jahr steigen. Denn festgestellt würde dann, wo die Schüler*innen im Jahrgang vier im Schuljahr 2020/21 stehen, und nicht, wie weit die Drittklässler*innen, die im 2. Schuljahr bereits den ersten Lockdown hatten nach ihrem 2. Lockdown im Schuljahr 2020/21 noch von diesem Stand entfernt sind.
Ein zweites wichtiges Thema der Diagnose und Steuerung ist die Frage, welche Wirkungen solch weitreichende Entscheidungen haben wie etwa die, die Prüfungsanforderungen für den MSA durch den Verzicht auf schriftliche Prüfungsarbeiten zu senken. Die schriftlichen Prüfungen beim MSA wegfallen zu lassen ist richtig. Entscheidungen wie diese müssen aber begleitet werden: Wir müssen nachverfolgen, welche Folgewirkungen sich ergeben.
So muss etwa im Auge behalten werden, wie sich schon beim letzten Jahrgang 2019/20
- die Notendurchschnitte der MSA-Absolvent*innen,
- die Zahl der Übergänge in die gymnasiale Oberstufe,
- die Zahl der Abbrüche in der gymnasialen Oberstufe,
- die Zahl der Übergänge in die berufliche Ausbildung,
- die Zahl der erfolgreichen/nicht erfolgreichen Abitur-Absolvent*innen
entwickeln. Dies ist notwendig, um gegebenenfalls notwendige Maßnahmen bereits jetzt gezielt vorbereiten und ergreifen zu können, und nicht erst, wenn diese Folgen für alle spürbar sind. Das gilt insbesondere für verstärkte Berufsorientierungsangebote sowie Berufs- und Übergangsberatung auch während der Zeit in der gymnasialen Oberstufe bzw. für Abbrecher*innen.
All diese Anstrengungen sollten auch dazu dienen, dass das Abitur in diesem Jahr – in Präsenz – durchgeführt werden kann. Bei der Zeitplanung sollte der maximale Spielraum genutzt werden, ohne die Sommerferien in Anspruch nehmen zu müssen. Die bereits beschlossenen Maßnahmen zur Entlastung und bestmöglichen Prüfungsvorbereitung begrüßen wir. Ausdrücklich befürworten wir einen „Freischuss“, also die Möglichkeit, einen zusätzlichen Prüfungstermin in Anspruch nehmen zu können.
Um jedoch für alle Szenarien vorbereitet zu sein, muss jedoch zusätzlich ein Szenario gedacht werden, das die Sommerferien für Prüfungen nicht aussparen kann. Dies wäre zwar für die Schüler*innen, die Familien und natürlich gerade auch die Pädagog*innen ein sehr belastendes Szenario. Umso mehr sollten aus unserer Sicht Gespräche sowohl auf KMK-Ebene und mit dem Land Brandenburg als auch mit den Personalräten und Gewerkschaften aufgenommen werden, um Modalitäten zu besprechen, wie dies durchgeführt werden könnte – sofern es die KMK nicht vorzieht, ein „Not-Abi“ ohne echte Abiturprüfungen zu vereinbaren.
Ausblick
Alle Grundschüler*innen der jetzigen Jahrgangsstufe 6 werden ab 9. August 2021 in einen Jahrgang 7 wechseln, in dem sie in hoher Wahrscheinlichkeit wieder vollen Präsenzunterricht erhalten, jedoch mit zum Teil erheblichen Lernrückständen aus der 5. und 6. Klasse. Es wäre daher sinnvoll, wenn die Schulen die Aufgabe erhalten, in den neun Unterrichtswochen bis zum Beginn der Herbstferien am 9. Oktober verstärkt die diagnostizierten Lernrückstände im Bereich der Fächer Deutsch, Mathematik und erste Fremdsprache zu bearbeiten. Hierzu sollte die Schulverwaltung entsprechende Freiräume zur Veränderung der Stundentafel geben, damit das Unterrichtsangebot in diesen Fächern durch die Schulen verstärkt werden kann. In gleicher Weise sollte dieser Zeitraum auch in der Jahrgangsstufe 11 (Eingangsphase) an ISS und Gemeinschaftsschule genutzt werden durch ein gezieltes Förderangebot mit modifizierter Stundentafel.
Die Corona-Pandemie wird uns alle noch Jahre beschäftigen. In diesem Sinn sind diese Erörterungen auch nicht abschließend, aber hoffentlich doch ein wenig mehr als nur Ein-Tages-Politik.