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Rede von Antje Kapek zur Regierungserklärung vom 27.01.2022

Foto: Hoffotografen | Grüne Fraktion Berlin

Sehr geehrter Herr Präsident,

verehrte Kolleginnen und Kollegen,

Ich hätte mir sehr gewünscht, dass jetzt die Lüftungspause gewesen wäre. Denn am Holocaust-Gedenktag nach der Vorsitzenden einer rechtsextremen Partei sprechen zu müssen, ist schon eine echte Zumutung.

Einer Partei, die sich selbst als parlamentarischer Arm einer Bewegung versteht, die mit nachgemachten gelben Davidsternen auf die Straße geht auf denen “Ungeimpft” steht und damit nicht nur deutlich macht, dass sie sich jedem ernsthaften Diskurs über die Bewältigung der Corona Pandemie entzieht.

Sie verhöhnen dabei auch die mehr als 6 Millionen Jüdinnen und Juden, die im Nationalsozialismus auf bestialischste Art und Weise entrechtet, gefoltert und ermordet wurden.

Versuchen sie uns ernsthaft weiszumachen, dass die systematische Verfolgung, Misshandlung und Ermordung von Millionen von Menschen gleichzusetzen ist, mit dem Umstand, dass man mal eben nicht zum Friseur gehen kann? Ich bitte Sie – das ist nicht nur absurd, dass ist ganz klar antisemitisch und vor allem ist es eins: zutiefst widerwärtig!

Heute vor 77 Jahren wurde das Konzentrationslager Auschwitz befreit. Mehr als eine Million Menschen wurden an diesem Ort des Grauens vernichtet. Wer einmal diesen Ort besucht hat, wird die Bilder nie wieder los.

Auch ich war im Alter von 16 Jahren für 2 Wochen in Oswiecim. Die Berge von Haaren und Zähnen, die einst Menschen gehört haben, die Zeichnungen, die während der Tyrannei entstanden – all das brennt sich ins Gedächtnis ein und begleitet einen für den Rest des Lebens. Angesichts des immer deutlicher und offen zu Tage getragenem Rechtsextremismus auf unseren Straßen und in unseren Wohnzimmern, komme ich zu dem Schluß: Jeder Mensch sollte einmal in seinem Leben nach Auschwitz fahren – denn dieses Erlebnis stellt eins sicher: Wir werden Niemals vergessen!

Wir übernehmen Verantwortung für die Stadt. Dazu hat sich Rot-Grün-Rot mit dem Koalitionsvertrag verpflichtet. Damit es uns gelingt, diesen Worten nun auch Taten folgen zu lassen, heißt es künftig weniger motzen, mehr anpacken, weniger blockieren, mehr kooperieren.

Zukunftshauptstadt Berlin – das bedeutet, dass wir die Berliner Verwaltung so umbauen, dass sie zur Servicestadt Berlin wird. Dass wir die Verkehrswende vollenden, damit Berlin zur klimaneutralen Stadt wird. Und dass wir im Zuge des Post-Corona Wiederaufbauprogramms unser Gesundheitssystem resilient, die Wirtschaft nachhaltig und die Kulturszene wieder bunt und handlungsfähig machen.

Und vor allem werden wir nicht nur viele neue Wohnungen bauen, sondern dafür sorgen, dass der Berliner Wohnungsmarkt endlich gemeinwohlorientiert wird.

Viel zu tun in einer Stadt, die immer in Bewegung ist und sich unaufhaltsam verändert. Die Frage ist nicht ob, sondern in welche Richtung sie sich entwickeln wird. Diese Richtung geben die Leitlinien der Regierungsarbeit nun für die nächsten fünf Jahre vor. Und für die ersten 100 Tage hat sich der Senat auch schon einen Hausaufgabenzettel geschrieben.

Der Finanzsenator hat sogar schon geliefert: Herzlichen Glückwunsch lieber Senat zum neuen Studiengang Verwaltungsinformatik! Ab jetzt bilden wir unsere Digitalisierungsexpert*innen für Land und Bezirke selbst aus. Das ist ein wichtiger Schritt in Rekordzeit und ein Erfolg, den wir feiern! Vor allem, weil die neue Regierung sich vorgenommen hat, die gemeinsamen Erfolge ab jetzt in den Vordergrund zu stellen.

 

Und Zeit wird’s! Denn auch wenn wir in den letzten 5 Jahren Großartiges erreicht, Reformen beschlossen, Mega-Investitionen getätigt und wie die Weltmeister gebaut haben……die Erzählung von Streit und Konflikten hat dennoch dominiert. Statt gemeinsam nach Lösungen zu suchen, wurde zu oft genörgelt, gemotzt und angeschwärzt. Wurde es rumpelig, kam zuallererst die Frage: Wer ist schuld? Und klar: Schuld sind immer die Anderen.

Und leider geht’s gerade schon wieder so los, wie die Debatte um die Test-to-Stay-Strategie zeigt. Statt aufzuzeigen, wie man das Dilemma zwischen Kontaktnachverfolgung, Testkapazitäten und Quarantäne Regelungen an Schulen am besten löst, ging’s schon wieder los mit dem blame-game. Aber meine Damen und Herren – das kann doch nicht unser Anspruch sein:

Man bekommt die Welt nicht besser gemeckert – man kann sie nur besser machen!

Und genau dafür wurden wir gewählt, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Deshalb, lassen Sie uns alle zusammen den Neustart wagen. Lassen Sie uns die Ärmel hochkrempeln, konstruktiv diskutieren, uns gegenseitig mit neuen, radikal-vernünftigen Ideen überzeugen, innovative Lösungen entwickeln und damit die Zielkonflikte in unserer Stadt auflösen. Denn nur so meistern wir die Krisen von heute und morgen.

Lassen Sie uns beweisen, dass Neubau und Stadtgrün eben kein Gegensatz sind. Dass die Verkehrswende Niemanden verteufelt. Dass bezahlbarer Neubau möglich ist und dass bei uns Freiheit und Sicherheit Hand in Hand gehen. Wir stehen für ein menschliches Berlin, in dem jede und jeder so sein kann, wie er oder sie will, egal ob in Jogginghose, Kopftuch oder Smoking.

 

Mit der Corona Pandemie im Nacken und dem Klimawandel vor der Tür sind die Herausforderungen immens. Vor allem, weil es ein echtes Rennen gegen die Zeit ist.

Ein Virus wartet nicht bis ausreichend Masken, Beatmungsgeräte und Impfstoffdosen verfügbar sind. Und auch das Klima wartet nicht bis wir einen markttauglichen CO2-Staubsauger erfunden haben. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Deshalb – egal ob Charta Stadtgrün oder die restlichen Kapitel des Mobilitätsgesetzes – gehen wir’s endlich gemeinsam an, liebe Kolleginnen und Kollegen.

 

Denn Krisen werden auch die soziale Schieflage in unserer Stadt zunehmend und dramatisch verschärfen. Ein Blick auf den Berliner Wohnungsmarkt ist der beste Beweis:

Wer in einem Einfamilienhaus am Stadtrand im Grünen wohnt, kommt wahrscheinlich besser durch den Lockdown oder den Hitzesommer, als jemand in einer klitzekleinen Wohnung an einer Hauptverkehrsstraße.

Umso dringender müssen wir bezahlbaren Wohnraum für alle schaffen, mit Augenmaß bauen und nachverdichten und ausreichend Grünflächen schaffen.

Jeder weiß, dass die Stadtentwicklungs- und die Wohnungspolitik alle drei Parteien bis aufs Äußerste strapazieren wird. Und genau deshalb haben wir uns aus vollster Überzeugung gemeinsam dazu verpflichtet, alle zur Verfügung stehenden Mittel und Wege für mehr Mieter*innenschutz zu nutzen und nachzuschärfen.

Mehr noch! Wo nötig, schaffen wir neue Instrumente wie beispielsweise die Einführung eines Mietenkatasters. Doch wissen wir auch: Wir können den Wohnungsmarkt nur nachhaltig entspannen, wenn wir Mieter*innenschutz und Neubau zusammen denken.

Klar ist aber auch: Gebaut wird mit uns in ökologisch! Das heißt Umbau statt Neubau, Recycling und Kreislaufwirtschaft statt Abriss. Damit läuten wir die Bauwende ein. Und wir haben uns entschieden, keine Grundstücke mehr zu verkaufen, sondern stattdessen neue anzukaufen. Das ist ein zentraler Hebel für die Zukunftshauptstadt Berlin, meine Damen und Herren.

 

Aber zurück zur sozialen Schieflagen: Wie so oft, treffen Herausforderungen besonders die Schwächsten der Gesellschaft. Schon vor Corona lebte bereits jedes 3. Kind in Berlin in Armut. Nach wie vor hängen individuelle Bildungschancen in keinem anderen Bundesland so stark vom Portemonnaie und vom Bildungsstand der Eltern ab.

Corona bringt Kinder, Jugendliche und Eltern noch zusätzlich an ihre Grenzen, verschärft auch hier die sozialen Schieflagen. Auch ich kann hier ein Lied davon singen – dabei gehöre ich zu den Privilegierten.

Aber auch meine Kinder sitzen heute deutlich häufiger vor dem Fernseher als früher, treffen weniger Freunde und hängen mehr durch. Dabei haben sie ein eigenes Kinderzimmer und Eltern, die Zeit und Ressourcen haben, sie zu unterstützen oder zu trösten. Dieses Glück haben nicht alle.

Deswegen müssen wir dafür Sorge tragen, dass nicht nur Lernrückstände, sondern auch emotionale und soziale Defizite aufgefangen werden. Wir müssen Orte schaffen, an denen Neugier gefördert wird. Daher müssen neben den Schulen auch die Kitas und der Hort zu lebendigen Orten des Lernens werden, in denen nicht nur Gummitwist gespielt, sondern auch gerätselt, gerechnet, gelesen und gebaut wird.

 

Als Koalition werden wir gezielt Coronahilfen einsetzen, um das ganztägige Lernen an Grundschulen zu stärken. Und wir sorgen für modern ausgestattete Gebäude – mit großzügigen Räumen, Gärten und gesundem Mittagessen. Damit Kinder nicht gleich gemacht, sondern individuell gefördert und aufgefangen werden und damit kein einziges Kind mehr hungrig ins Bett gehen muss. Wer Armut bekämpfen will, der muss in den nächsten Jahren auch dafür sorgen, Wohlstand zu sichern, ihn auszubauen und alle daran teilhaben zu lassen – egal ob Großunternehmerin, Späti-Besitzer oder Jazz-Saxofonistin.

 

Für nachhaltigen Erfolg brauchen wir eine ressourcenschonende, emissionsfreie und sozial gerechte Wirtschaft. Darum werden wir als Koalition die Post-Corona Konjunkturprogramme nutzen, damit Betriebe nachhaltiger werden. Denn das ist Voraussetzung, um langfristig Wohlstand für alle zu sichern. Und nur so geht Weltverbesserung “made in Berlin”.

Apropos Weltverbessern – die größte soziale Frage der Zukunft ist der Klimaschutz. Deshalb ist das Thema bei uns auch Chefinnensache. Und unsere grüne Bürgermeisterin Bettina Jarasch packt an: Klima-Governance hat bei ihr Top-Priorität und Klimaschutz wird damit endlich zur Team-Disziplin.

Denn die Aufgaben und die Verantwortung sind immens. Das schaffen wir nur mit vereinten Kräften: Jedes Ressort und jedem Bezirk.

Ein klimaneutrales Berlin erreichen wir nur, wenn sich alle verpflichten, massiv in den Umbau von Verkehr, Gebäuden, Energiegewinnung und in unsere Grünflächen und Wälder zu investieren. Jeder investierte Euro und jedes neue Gesetz muss künftig auch eine Antwort auf die Klimakrise geben. Darunter geht nichts!

Der Verkehrsbereich spielt dabei eine Schlüsselrolle. Deshalb ist die Verkehrswende auch kein Selbstzweck, kein Kulturkampf und keine Ideologie, sondern eine Notwendigkeit.

Neue Radwege, E-Busse, Tram-Linien: Jeder Weg, der zu Fuß, mit dem Rad oder der Regionalbahn zurückgelegt wird, schont das Klima, fördert die Gesundheit und schafft mehr Platz auf den Straßen – dann kommt der Maler, genau wie die Feuerwehr besser durch.

Das erklärte Ziel von Rot-Grün-Rot ist der Ausbau des ÖPNVs. Mit dem Mobilitätsgesetz und Investitionen von 28 Milliarden Euro haben wir bereits ordentlich vorgelegt. Aber wenn wir nun zusätzliche Lücken schließen, raus in die Außenbezirke bauen, und die Takte verdichten, brauchen wir natürlich zusätzliches Geld. Deshalb ist es richtig, dass wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, eine sogenannte 3. Finanzierungssäule für den weiteren ÖPNV Ausbau zu schaffen.

Berlin 2050 – das sind große Bahnnetze, die Berlin mit dem Umland verbinden auf der einen Seite und das sind moderne Radwege und verkehrsberuhigte Kieze auf der anderen Seite. Denn genau das ist Ausdruck einer modernen Stadtentwicklung, die mehr Lebensqualität und mehr Sicherheit in die Wohngebiete bringt. Das erklärt auch, warum es inzwischen weit über 50 Initiativen für Kiezblocks in Berlin gibt. Ich hoffe, es werden noch weitaus mehr. Denn die größte Gefahr für Leib und Leben geht nach wie vor vom Straßenverkehr aus. Von der „Vision Zero“ sind wir noch ein weites Stück entfernt.

Und das gehen wir jetzt an: Mehr Verkehrskontrollen, eine Verdreifachung der Fahrradstaffel, damit diese von Buch bis Zehlendorf im Einsatz ist und mindestens 60 neue Blitzer. Die sindnicht nur eine echte Cashcow für den Landeshaushalt, sondern einer der effektivsten Beiträge zu mehr Sicherheit in Berlin.

Meine Damen und Herren, Benjamin Franklin hatte recht, als er sagte: Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.

Für mich gehen Sicherheit und Freiheit Hand in Hand. Lassen Sie mich deshalb klar sagen: Wir bekämpfen selbstverständlich die Kriminalität und zwar von der Geldwäsche bis zum Fahrraddiebstahl.

Kriminalitätsbekämpfung ist aber nur ein Teilaspekt von Sicherheit. Zur Sicherheit gehört auch ein Gefühl und die Gewissheit eines Zuhauses, an dem wir uns sicher und geborgen fühlen.

Ich möchte, dass Berlin ein Zuhause für alle Menschen ist. Und zwar wirklich für alle. Egal welchen Geschlechts, welchen Alters oder welcher Hautfarbe; egal welcher oder keiner Religion. Ob bei Tag oder Nacht. Ob zu Fuß, auf dem Rad oder im Rollstuhl.

Berlin muss ein sicherer Hafen sein. Dass Menschen an der belarussischen Grenze hungern und frieren und immer noch Menschen im Mittelmeer ertrinken, ist schlicht unerträglich, eine Schande. Es ist deshalb nicht nur eine Frage der Menschlichkeit, dass wir Geflüchtete über ein Landesprogramm in Berlin aufnehmen. Das, meine Damen und Herren, ist unsere humanitäre Verantwortung!

Liebe Kolleg*innen,

meine letzte Rede in diesem hohen Haus habe ich vor ziemlich genau einem Jahr zum 1. Jahrestag von Hanau gehalten.

Nun jährt sich dieser furchtbare Terroranschlag, bei dem 10 Menschen ermordet wurden bald zum zweiten Mal. Und noch immer leiden die Betroffenen, Familien, Angehörige und Freunde der Ermordeten.

Wir können die Zeit nicht zurückdrehen, aber wir sind es ihnen allen schuldig, Aufklärung gegen rechten Terror ernst zu nehmen und Konsequenzen zu ziehen, sei es in Hanau oder in Berlin-Neukölln.

Immer häufiger werden auch unsere Abgeordneten und Engagierte in der Zivilgesellschaft, selbst Opfer von Anschlägen, Drohungen und menschenfeindlichen Beleidigungen. Doch sie lassen sich nicht von Hass und Hetze einschüchtern, sondern setzen sich weiter für unsere Stadt ein. Dafür sind wir Ihnen zu großem Dank verpflichtet.

Aber Dank alleine ist nicht genug, es braucht entschlossenes Handeln.

Auch deshalb machen wir eine Forderung aus der Zivilgesellschaft wahr. Das Parlament wird als eine der ersten Maßnahmen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der rechten Anschlagsserie in Neukölln auf den Weg bringen.

Und mehr noch: Wir müssen ran an die Strukturen. Deshalb werden wir in dieser Legislatur eine Enquete Kommission einsetzen, die strukturelle Vorschläge für mehr Vielfalt und Partizipation und einen klar anti-rassistischen Kurs in der Berliner Verwaltung erarbeiten wird.

Denn eines ist klar, meine Damen und Herren: Das Berlin der Zukunft, ist bunt, offen, frei und vielfältig. Und es lässt keinen Fußbreit Platz für rechte Angstmache, Hass oder Hetze. Unsere Koalition und ich hoffe auch weite Teile der Opposition haken sich unter, um die wehrhafte Demokratie nicht nur mit Worten, sondern mit Leben zu füllen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

auf dem Weg zur Zukunftshauptstadt Berlin haben wir viel vor, aber wir sind auf dem richtigen Weg. Dass gerade einiges in Bewegung ist, das sehen Sie alleine mit Blick in dieses Haus.

Ein höherer Frauenanteil im Senat, drei Staatssekretär*innen und unsere Vizepräsidentin als People of Colour, ein vielfältigeres Berliner Abgeordnetenhaus und die erste weibliche Regierende Bürgermeisterin von Berlin.

Es gibt einen Wind der Veränderung, und der war bekanntlich schon immer Rückenwind für unsere Stadt. Wir laden alle dazu ein, diesen Wandel mit uns zu gestalten. Lassen Sie uns konstruktiv und leidenschaftlich, fair und respektvoll um die besten Ideen streiten, damit am Ende der Legislaturperiode auch die kritischste Berlinerin mit Zuversicht sagen kann: „Dit is zwar noch nich perfekt, aber dit is’ ziemlich jut jeworden. Herzlichen Dank!“

Kontrast