Bibliotheken in Berlin stärken
1. Gesellschafts-, bildungs- und kulturpolitische Bedeutung der Bibliotheken für Bündnis 90/Die Grünen
Bibliotheken sind zentrale Institution der Berliner Kultur- und Bildungsinfrastruktur. Der digitale Paradigmenwechsel und die Bedeutung von Bildung und Information für Chancengleichheit und Partizipation in einer kulturell vielfältigen Gesellschaft bestätigen den Wert von Bibliotheken und machen sie gleichzeitig zum Bestandteil öffentlicher Diskussion. Die Nachfrage durch die Nutzer*innen ist hoch, die vorhandenen Kapazitäten gerade in der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) reichen schon lange nicht mehr aus.
Damit Bibliotheken auch zukünftig ihrer gesellschaftspolitischen Aufgabe gerecht werden können, müssen wir jetzt Maßnahmen ergreifen: Berlin braucht ein aktuelles Bibliothekskonzept, der vereinigte Standort der ZLB muss zügig und auf der Grundlage eines seriös erarbeiteten Bedarfsprogramms vorangetrieben werden und gerade in den Bezirken gilt es, sowohl die verbliebenen Standorte als auch die Programmarbeit zu sichern und zeitgemäß auszurichten. Schließlich ist im Rahmen des Verbunds die Modernisierung der digitalen Infrastruktur voranzutreiben und eine Anpassung des Angebots an die Interessen der Nutzer*innen vorzunehmen.
Bibliotheksangebote wirken in viele Lebensbereiche dieser Stadt hinein: von Bildung und kultureller Bildung, Wissenschaft und Forschung, Medienpädagogik und Leseförderung bis hin zur Stadtentwicklung und Ausgestaltung der sozialen Infrastruktur. Bibliotheken sind Akteurinnen in der Förderung des Zusammenlebens von Jung und Alt und in der Integrationspolitik. Sie übernehmen als nah und leicht erreichbarer Ort der Informationsbeschaffung auch eine soziale Funktion, fördern den Bildungsaufstieg, sind Treffpunkt für Menschen jeden Alters und kultureller Herkunft und können zur Emanzipation von benachteiligten Personen beitragen. Die Bibliothek ist die Institution, die den Übergang oder den Zusammenschluss von Bildung und Wissensaneignung mit Hobby und Entspannung schafft, so wie es kaum eine andere Einrichtung ermöglichen kann. Durch ihren Qualitätsanspruch und unter den Grundwerten der Informations- und Meinungsfreiheit tragen Bibliotheken zur Förderung der Demokratie und der Partizipation bei. Durch gesetzliche Regelungen zur Abgabe von Pfichtexemplaren und dem hohen Digitalisierungs- und Restaurierungsaufwand, den Bibliotheken unternehmen, tragen sie ebenfalls zur Bewahrung des kulturellen Erbes bei.
Bibliotheken und ihre Standorte verleihen einer Stadt ein Stück Identität. In Berlin fehlt jedoch eine landesweit abgestimmte Strategie für alle Bibliotheken – für die bezirklichen, die wissenschaftlichen und die privaten Einrichtungen sowie für die ZLB. Einen Bibliotheksentwicklungsplan hat es in Berlin zuletzt 1994 gegeben. Die politische Landesebene ist in der breiten Bibliothekslandschaft Berlins nur ein Akteur unter vielen. Aber das Berliner Bibliothekssystem leidet an zu wenig Kooperation und zu wenig abgestimmten Vorgängen unter den Beteiligten, sowie an mangelnder Verbindlichkeit für die von allen geteilten Anforderungen in dieser Stadt.
Deswegen kann und sollte sich die Landesebene sowohl organisatorisch als auch fnanziell deutlicher einbringen und strukturelle Verantwortung übernehmen. Wir wollen mit diesem Positionspapier unsere politische Unterstützung für die Berliner Bibliotheken verdeutlichen. Unser Ziel: Sie sollen gute Arbeit im Interesse der Berliner*innen gewährleisten können.
2. Die grüne Agenda zur Berliner Bibliothekspolitik
Die Berliner Bibliothekslandschaft braucht politische Unterstützung, um die an sie gestellten Herausforderungen im Sinne der Berliner*innen erfüllen zu können. In Zusammenarbeit zwischen Land, Bezirken und fachlichem Bibliothekspersonal muss daher die folgende Agenda unter Bürgerbeteiligung zügig abgearbeitet werden:
2.1. Entwicklung eines Bibliothekskonzepts
Das Bibliothekskonzept beschreibt die Verantwortungsbereiche und Aufgaben der beteiligten Akteure in der Bibliothekslandschaft, nennt mögliche Kooperationen und hält Unterstützungen zwischen den Ebenen fest. Es legt mittel- und langfristige Pläne zur Ausgestaltung der Berliner Bibliothekslandschaft vor. Die Prüfung einer grundsätzlichen Umstrukturierung der Bibliothekslandschaft Berlins, wie zum Beispiel der Zusammenführung im Eigenbetrieb oder in einem neuen Stiftungsmodell ist nicht Gegenstand dieses Papiers. Uns geht es um verbindliche Optimierungen im Rahmen der derzeit vorhandenen Strukturen.
2.2. Bibliotheksgesetz prüfen
Wir werden ein Bibliotheksgesetz prüfen, wenn sich zeigt, dass eine Verbesserung für die Bibliotheken nicht bereits über ein gemeinsames Bibliothekskonzept, die Verbundstrukturen und entsprechende Haushaltsbestimmungen zu erreichen ist. Denn ein Gesetz müsste die Wandlung des freiwilligen kommunalen Bibliotheksangebots in eine Pfichtaufgabe beinhalten, sonst wäre es ein zahnloser Tiger. Bisher hat keines der in Deutschland existierenden Landesbibliotheksgesetze diese Pfichtaufgabe aufgegriffen. Den Bezirken bzw. Kommunen sollten durch ein Gesetz keine ungedeckten Kosten entstehen, die Anforderung an eine Ausarbeitung sind sehr detailreich und zeitaufwendig. Deshalb wollen wir zunächst außergesetzlich und vor allem schneller etwas für die Bibliotheken erreichen.
2.3. Profil der ZLB in der Stadt und im Verbund stärken
Die Stärkung der ZLB ist die erste und vorrangige Kompetenz auf landespolitischer Ebene. Dies ist in den letzten Jahren eklatant vernachlässigt worden. Nach den Fehlern die in den letzten Legislaturperioden gemacht wurden, werden wir nun dafür sorgen, dass die Berliner*innen ein positives Bild der Zentral- und Landesbibliothek zurückgewinnen.
Hierzu brauchen wir schnellstens, unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Leitungsstruktur durch den Stiftungsrat, eine fachlich-bibliothekarische Leitung für die ZLB und fordern den verstärkten Dialog mit den Bibliotheksmitarbeiter*innen. Im Rahmen der jetzt anstehenden Bibliotheksentwicklungsplanung ist eine Präzisierung der Rolle der ZLB im Verbund mit den öffentlichen Bibliotheken (VOEBB) und mit den Hochschulbibliotheken unerlässlich. Dabei müssen vor allem Verantwortungen und Aufgaben der genannten Einrichtungen untereinander und im Zusammenspiel mit anderen Akteur*innen geklärt werden. Damit kann auch endlich ein neuer Standort der ZLB seriös geplant und umgesetzt werden.
Außerdem wollen wir perspektivisch im Zusammenhang mit der Erarbeitung des Bibliothekskonzeptes das Stiftungsgesetz der ZLB überarbeiten und an aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen anpassen.
2.4. Neue Finanzierungs- und Kooperationsmöglichkeiten zwischen den Ebenen erschließen und fördern
Mehr Unterstützungen und Kooperationen unter den Bibliotheken ist die logische Weiterführung nach der Erarbeitung des zukünftigen ZLB-Profls: Es muss klar sein, welche Unterstützung die ZLB oder das Land Berlin den Einrichtungen – angesichts der Kosten-Leistungsrechnung auf Bezirksebene – organisatorisch und auch fnanziell bieten will und kann. Dazu gehört auch eine Prüfung der bestehenden Verbundstrukturen. Vorrangig sehen wir für den Verbund drei Aufgabenbereiche: Die Bereitstellung eines angemessenen Medienetats an allen Standorten, die Sicherung von fachlich geschultem Personal für das Bibliothekssystem des Landes und die Unterstützung der einzelnen Standorte bei baulichen und technischen Vorhaben.
2.5. Programmarbeit, pädagogische und soziale Leistungen stärken
Die bibliothekarische Programmarbeit hat für eine Stadt wie Berlin, besonders im Bereich der interkulturellen Partizipation und der Bildungsförderung für Kinder und Jugendliche, eine herausragend hohe Bedeutung. Sie braucht eine verlässliche Finanzierung, fachliches Personal und auch hier Strukturen für Bürgerbeteiligung und für das Ehrenamt. Auch durch die Digitalisierung gewinnt die Programmarbeit zusammen mit Fragen der Raumgestaltung an Bedeutung: Digitale Bibliotheksbestände bringen nicht zwangsläufg eine Raumersparnis mit sich. Teilweise steigt z.B. durch neue Nutzungsgewohnheiten die Nachfrage nach WLAN-Arbeitsplätzen mit Einsicht in digitale Bibliotheksbestände vor Ort. Medienbestände, Räume und Einrichtungen dürfen daher nicht in ihrer Gesamtheit reduziert werden, sondern sollen umgestaltet und mit Programm- und Bildungsangeboten kombiniert werden. Dabei müssen bei der Raumgestaltung auch die besonderen infrastrukturellen Ansprüche berücksichtigt werden, die durch Digitalisierung und neue Gewohnheiten in der Mediennutzung entstehen. Landesprogramme können, wenn ihre Strukturen eine Verwaltung über die ZLB zulassen, ebenfalls technische Innovation und die Programmarbeit in den Bibliotheken stärken.
2.6. Innovationskonzepte und Digitalisierung voranbringen
Das Angebot an elektronischen Werksformen, passende Leihgeräte sowie die digitale Medienbildung durch Bibliotheken müssen stetig ausgebaut werden und den Nutzungsanforderungen angepasst sein – auch dafür braucht es funktionierende Verbundstrukturen. Dazu muss die Infrastruktur in den Bibliotheken dem Angebot an digitalen Medien angepasst werden. Die Bedeutung von originär digital veröffentlichten Werken wollen wir durch ein entsprechendes Pfichtexemplarrecht hervorheben. Auf das richtige Gleichgewicht an analogen und digitalen Angeboten kommt es an.
3. Die Bibliothekslandschaft in Berlin – Handlungsbedarf im Einzelnen
Berlin verfügt über eine einzigartige und vielfältige Bibliothekslandschaft. Die zentrale Landeseinrichtung ist die ebenfalls auf zwei Standorte aufgeteilte ZLB, die laut Stiftungsgesetz wissenschaftliche und öffentliche Bibliothek zugleich ist. Hinzu kommen die öffentlichen Bibliotheken der zwölf Berliner Bezirke mit jeweils mehreren Standorten und Fahrbibliotheken. Zur Bibliothekslandschaft in Berlin zählen jedoch auch die zahlreichen wissenschaftlichen Bibliotheken der Berliner Hochschulen – die sich ebenfalls in Trägerschaft des Landes befnden – und die Staatsbibliothek zu Berlin der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit ihren zwei Standorten – die ebenfalls eine bedeutende Rolle für das bibliothekarische Angebot in der Stadt spielt.
Seit 2001 arbeiten alle Einrichtungen der Bezirke und die ZLB dezentral und für ausgesuchte Zwecke im Verbund der Öffentlichen Bibliotheken Berlins (VOEBB) zusammen – mit einer gemeinsamen Serviceeinrichtung unter dem Dach der ZLB. Ergebnisse dieser Zusammenarbeit sind der für alle Benutzer*innen online zugängliche Katalog, der kostenlose Ausweis für Empfänger*innen von Transferleistungen sowie für Kinder und Jugendliche und die einfache Möglichkeit, Bestände anderer Bezirksbibliotheken an einen gewünschten Standort zu bestellen. Das breite Medienangebot umfasst analoge und digitale Formate und in steigendem Maße auch die rein elektronische Form von Werken über das Online-Portal des VOEBB. Gleichzeitig bieten die Berliner öffentlichen Bibliotheken eine Vielzahl an Programmarbeit: von der Arbeit mit Kindergärten und Schulen im Bereich der Leseförderung, von Hausaufgabenhilfe bis hin zu Workshops, Kooperationen und Lesungen mit Autor*innen und Verlagen. Rund 7,7 Millionen Menschen besuchen die bezirklichen Bibliotheken jährlich, hinzu kommen noch circa 1,3 Millionen Besucher*innen der Standorte der ZLB. Damit hat keine andere Berliner Einrichtung mit dem Auftrag Kultur und Bildung – auch kein Museum oder keine Gedenkstätte – so hohe Besucherzahlen wie die Bibliotheken des VOEBB. Wir verstehen dies als politischen Auftrag, eine möglichst wohnortnahe Erreichbarkeit von Bibliotheksstandorten zu erhalten.
3.1. Die Zentral- und Landesbibliothek – Ausrichtung für die Zukunft
Ein Standort für die ZLB
Für die ZLB als größte öffentliche Bibliothek Deutschlands ist die bestehende Verteilung über verschiedene Standorte – die zwei Ausleihstandorte Amerika-Gedenkbibliothek und Berliner Stadtbibliothek, das Außenmagazin
in Moabit und die Bestände der Berliner Senatsbibliothek – nicht effzient zu gestalten und aus Nutzungs- und bibliothekarischer Sicht schon lange nicht mehr haltbar. Die Gebäude genügen nicht den baulichen und konzeptionellen Anforderungen: von der Gesamtfäche der verschiedenen Gebäude sind nur 7.000 m² als Publikumsfäche nutzbar, lediglich zwölf Prozent des Bestandes kann in frei zugänglichen Bereichen angeboten werden und die aktuelle Trennung der Sachbereiche ist nicht mehr plausibel.
Es fehlt immer noch eine seriöse Erhebung, wie viele Nutzer*innen-Arbeitsplätze in der ZLB wirklich gebraucht werden. Derzeit sind es 651 Arbeitsplätze über die Standorte verteilt, wovon lediglich 162 Computerarbeitsplätze und 88 Internetarbeitsplätze sind. Dies entspricht nicht einer zeitgemäßen Ausrichtung der zentralen Bibliothekseinrichtung Berlins, die auch der allgemeinen Öffentlichkeit wissenschaftliche Recherchearbeit ermöglichen möchte. Auch der Senat geht mittlerweile davon aus, „dass die vorhandenen Arbeitsplätze in den Berliner Öffentlichen Bibliotheken den wachsenden Bedarfen nicht entsprechen“. Ziel muss
daher der Ausbau der Kapazitäten und vor allem die Vereinigung der ZLB an einem zentralen, verkehrsgünstigen und urbanen Standort sein.
Der bisherige Prozess zur Findung eines vereinten Standorts für die ZLB war unglücklich und wurde von uns gerade im Zusammenhang mit den Bebauungsplänen für das Tempelhofer Feld immer kritisiert. Umso wichtiger ist es, dass jetzt, ganze vier Jahre nach dem Volksentscheid, auf Grundlage der vorliegenden Untersuchungen, insbesondere auf Grundlage der vorliegenden Wirtschaftlichkeitsuntersuchung inklusive Kostenermittlung, endlich eine Standortentscheidung getroffen wird. Diese muss selbstverständlich die Entwicklungsperspektiven des gesamten Bibliothekssystems beachten und auf einer begründeten Bedarfs- und Kostenplanung beruhen. Unter den aktuell debattierten möglichen Standorten scheint für uns bisher ein Ausbau der Amerika-Gedenkbibliothek am attraktiven Standort Blücherplatz die am besten geeignete Lösung zu sein.
Inhaltliches Profl der ZLB
Mit der Archivierung und Bereitstellung von Pfichtexemplaren aus Berlin und mit der Medienauswahl durch ihre Fachlektor*innen bewahrt die ZLB das kulturelle Erbe dieser Stadt. Zudem ist ihre Aufgabe als öffentliche und zugleich wissenschaftliche Bibliothek in der Form einmalig in Deutschland und ermöglicht ein populär-wissenschaftliches Angebot für Bürger*innen auch außerhalb von Hochschul- und Forschungsstrukturen.
Die ZLB versteht sich außerdem als „bezirksübergreifendes Medien- und bibliothekarisches Innovationszentrum“ und steht durch Verbund- und Finanzierungsstrukturen in der Mitte des Berliner Bibliothekswesens.
Aber es fehlt ein mittel- und langfristiges Profl für die inhaltliche Arbeit der Landesbibliothek in Abgrenzung zu den Einrichtungen der Bezirke und zu denen der Wissenschaft. Vor allem ist noch völlig unklar, wie es nach der Vereinigung an einem Standort weitergehen soll. Deswegen brauchen wir eine Proflschärfung der ZLB bereits für den Zeitraum vor der Zusammenführung der einzelnen Standorte und für den Zeitraum danach. Wir wollen, dass die ZLB ihre bezirksübergreifende koordinierende Funktion stärker wahrnimmt und dafür mehr Unterstützung von Landesebene erhält. Ein so genanntes digitales Pfichtexemplarrecht, also die verpfichtende Belieferung der Bibliothek auch mit unkörperlichen Werksformen, gepaart mit einem deutlichen Anstieg von Lese- und WLAN-Arbeitsplätzen, kann das Profl der ZLB im Bereich der Innovation deutlicher herausheben.
Bestands- und Personalentwicklung, Governance
In ihrer Medienauswahl muss sich die ZLB ihre Unabhängigkeit und Breite des Bestandes durch die Arbeit des fachlichen ZLB-Lektorats beibehalten. Investitionen in räumliche und technische Erweiterungen dürfen nicht zulasten des Medienetats und der Bestandsvielfalt gehen. Die bisherige Vergabepraxis zur Bestandsentwicklung durch Fremdfrmen, vor allem die aktuelle Vergabe an die Firma Hugendubel Fachinformation, muss regelmäßig sowohl nach kaufmännischen als auch nach bibliothekarischen Gesichtspunkten evaluiert werden. Bei einer solchen Auswertung sollten auch mögliche Nebeneffekte, beispielsweise auf den Buchhandel in Berlin, einbezogen werden. Schlussendlich brauchen wir eine bessere innerbetriebliche Kommunikations- und Beteiligungsstruktur zur Umsetzung des Bibliothekskonzepts und zur zukünftigen inhaltlichen Proflierung der ZLB.
Auch die ZLB wird in den nächsten Jahren von dem Altersgap in der Personalstruktur betroffen sein. Sie erhält für die Beibehaltung einer fachlich aufgestellten Personalstruktur aber überhaupt keine Unterstützung von der politischen Landesebene. Bereits seit sechs Jahren fehlt es ihr außerdem an einer bibliothekarisch ausgebildeten Fachleitung für das gesamte Haus. Nicht zuletzt die Debatten um Medienerwerb und Bestandsentwicklung zeigen, dass dies ein unhaltbarer Zustand ist, der dringend beendet werden muss. Die oben genannten verbesserten innerbetrieblichen Kommunikations- und Beteiligungsstrukturen können außerdem dazu beitragen, dass an der ZLB eine nachhaltigere Personalentwicklung betrieben werden kann.
Letztlich wollen wir prüfen, ob das Zentralbibliotheksstiftungsgesetz in seiner aktuellen Form den Herausforderungen in der Bibliotheksentwicklung und der herausragenden Bedeutung der ZLB für das gesamtstädtische
Bibliothekssystem und das Land Berlin gerecht wird. Dabei soll auch die Governancestruktur der Stiftung überprüft und gegebenenfalls überarbeitet werden.
3.2. Bezirksbibliotheken – Standorte, Personal, „KLR“-Falle
Wohnortnahe Standorte sichern
Sicher, die bloße Haltung von Standorten ist nicht das alleinige Ziel der Bibliothekspolitik. Es geht um das inhaltliche Angebot, abhängig von dem zur Verfügung stehenden Personal und vom Medienetat der Bibliotheken.
Aber von ehemals über 200 Standorten in dieser Stadt sind heute lediglich 78 übrig – und dies auch nur, zählt man die zwei Standorte der ZLB, die Fahrbibliotheken, die im VOEBB vertretenen Schulbibliotheken und die zum Teil ehrenamtlich geführten Kiez-Bibliotheken dazu.
Seit den neunziger Jahren geht die Anzahl der öffentlichen Bibliotheken kontinuierlich zurück und in den meisten Fällen begründete sich die Schließung von Standorten einzig aus haushalterischen und personellen
Engpässen auf Bezirksebene und folgte keinem inhaltlichen Konzept, das Zusammenschlüsse in irgendeiner Form positiv herleitete – dabei stieg die Anzahl der Entleihungen alleine in den letzten Jahren noch einmal um fast fünf Millionen Einheiten in allen Bezirken. Das bestätigt zwar die hohe Nachfrage, aber das bestätigt nicht, dass man nur wenige Standorte braucht, um ein gutes Bibliotheksangebot zu leisten. Nur durch technische Neuerungen und stringentere Verbundstrukturen konnte sich diese effziente Abwicklung von immer mehr Ausleihen an immer weniger Standorten behaupten. Aber Technik und Strukturen ersetzen ab einem bestimmten Punkt nicht mehr die fußläufge Erreichbarkeit und persönliche Betreuung in einer Bibliothek für die Bürger*innen. Die in Berlin seit Langem wahrnehmbare Tendenz zur Schließung von Standorten wollen wir daher beenden. Wir verstehen die Aufgabe von Bibliotheken auch als eine bildungspolitische im Kooperationsnetz zu Schulen, Kitas oder auch Senioreneinrichtungen sowie als eine soziale Aufgabe mit bürgernahem Informations- und Bildungsangebot. Gerade deshalb dürfen wir keine weiteren Standorte verlieren.
Wir setzen uns dafür ein, dass bauliche Investitionen in Bibliotheken darüber möglich werden, dass ein Mindestbeitrag für die bauliche Unterhaltung freiwilliger Aufgaben in den Bezirken defniert und festgelegt wird. Eine zusammenführende Liste auf Landesebene, welche prioritären aber derzeit nicht fnanzierbaren und nicht umsetzbaren Baumaßnahmen in den Bezirken vorliegen, kann eine Auseinandersetzung mit dem Problem vorantreiben. Sollte dennoch die Aufgabe einzelner Standorte unumgänglich sein, muss der Wegfall des dortigen Angebots wohnortnah im Rahmen des Bibliotheksnetzes kompensiert werden.
Personal in Bezirksbibliotheken
Vor zehn Jahren arbeiteten in den Berliner öffentlichen Bibliotheken noch über 1000 Personen, doch seit 2013 stagniert diese Zahl bei ca. 700 Beschäftigten, obwohl die Nachfrage an Bibliotheksleistungen in Zahlen und nach inhaltlichen Kriterien stetig steigt. An vielen Bibliotheken werden aufgrund der Altersstruktur in den nächsten Jahren nicht nur die Leitungsstellen ausscheiden und es ist berechtigt daran zu zweifeln, ob die Bezirke diese Stellen rechtzeitig wieder besetzen (können). Die öffentlichen Bibliotheken gehören zu den so genannten freiwilligen Aufgaben der Kommunen – in Abgrenzung beispielsweise zur Pfichtaufgabe der Schulen – und die generelle Personalnot der Bezirke ist allgemein bekannt. Außerdem ist die Besoldung der Bibliotheksleitungen in den letzten Jahren heruntergestuft worden, damit wurden diese Positionen deutlich abqualifziert und sind unattraktiver geworden.
Der Personalengpass in den Bibliotheken darf nicht durch fachfremdes Personal oder Ehrenamt, ohne genaue Eingrenzung der Aufgaben und Kompetenzen, aufgefangen werden. Ehrenamt darf kein Ersatz für qualifziertes
Fachpersonal sein. Auch wenn beispielsweise die Sonntagsöffnung der ZLB aufgrund von arbeitsrechtlichen Bestimmungen durch ehrenamtliches Personal organisiert werden muss und diese Verbreiterung des Angebots in Einzelfällen die Bibliothekslandschaft Berlins bereichern kann, sehen wir in der hervorragenden Arbeit des bibliothekarischen Fachpersonals den eigentlichen Mehrwert von Bibliotheken gegenüber anderen Formen und Orten der Medienvermittlung. Die Bezirke brauchen daher angesichts des anstehenden Altersgaps ausreichend Mittel für neues Personal, auch für die freiwilligen kommunalen Leistungen wie zum Beispiel den Bibliotheken. Für ein zeitgemäßes Angebot braucht es außerdem eine bessere Altersdurchmischung des Bibliothekspersonals, Kenntnisse und Schulungen im Bereich der digitalen Medienkompetenz und -vermittlung und allen voran eine ausreichende Gewichtung von interkulturellen Kompetenzen.
Interkulturell kompetentes Personal
Die interkulturelle Vielfalt der Bevölkerung Berlins muss sich eindeutig auch im Personal der Bibliotheken widerspiegeln. Dies fordern wir schon lange, allerdings hat diese Forderung durch den verstärkten Zuzug Geflüchteter eine neue Relevanz und Dringlichkeit erhalten. So wie es für die gesamte Personalstruktur des Landes Berlin und der Bezirke selbstverständlich sein sollte, müssen alle Beschäftigten der Bibliotheken interkulturelle Kompetenzen besitzen, um auf die Bedürfnisse der Nutzer*innen eingehen zu können. Dazu gehört auch die gezielte Anstellung von Personal mit Migrationshintergrund und die Förderung der Anzahl mehrsprachiger Mitarbeiter*innen.
Medienetat der Bibliotheken
1992 lag der Medieneinkaufsetat über ganz Berlin verteilt noch bei 6,6 Millionen EUR, 2016 waren es – ohne die ZLB – mit ca. 4,3 Millionen EUR nur noch etwa zwei Drittel dieses Betrags. Das ist eine absurde Entwicklung, bedenkt man die unverändert hohe kultur-, bildungs- und sozialpolitische Bedeutung der Bibliotheken und die besonderen Bedürfnisse der wachsenden Stadt. Auf Einzelne herunter gebrochen variiert der Etat zwischen den Bezirken von 92 Cent bis hin zu 1,50 EUR pro Einwohner*in. Aber diese Differenzen ergeben sich oft einzig aus haushalterischen und nicht aus inhaltlichen Anforderungen oder auch nicht aus der umgebenden Einwohner*innenstruktur. Sinkt der Medienetat unter einen bestimmten Wert, bringt dies logischerweise weniger Besucher*innen und Ausleihen, damit schlechtere Zahlen und irgendwann als Konsequenz die Standortfrage auf. Um diesen negativen Kreislauf aufzuhalten, ist neben der Personalpolitik deswegen vor allem ein berlinweiter Mindeststandard für den Medienetat von Bedeutung.
Die Ständige Konferenz der Leiterinnen und Leiter der Berliner Öffentlichen Bibliotheken (StäKo) legte im Herbst 2014 fachliche Mindeststandards für die in öffentlicher Trägerschaft befndlichen Bibliotheken Berlins fest – dazu gehörte aber vorerst nicht der Medienetat und auch das Inkrafttreten der Standards ist bisher noch nicht zeitlich festgelegt. 2006 entwickelte eine Arbeitsgruppe aus den verschiedensten politischen Ebenen ein Finanzierungsmodell, welches eine Absicherung des Medienetats der Bibliotheken durch Bezuschussung des Senats bei Einhaltung bestimmter Leistungen vorsah, das so genannte Olympia-Modell. Dies hat niemals eine rechtliche Umsetzung gefunden, allen voran, weil die Landesebene die fnanzielle Unterstützung verweigerte. Das Olympia-Modell gehört bezüglich seiner heutigen Eignung erneut geprüft. Wir wollen Instrumente umsetzen, die den Berliner Bibliotheken mehr Sicherheit für ihren Erwerbsetat bieten. Daran gebunden ist eine erhöhte fnanzielle Unterstützung von Landesseite.
Kosten-Leistungs-Wettbewerb
Der Finanzierungswettbewerb der Bezirke durch die Kosten- und Leistungsrechnung (KLR) bzw. durch die Budgetierung der Produkte „Beratung und Vermittlung von Sachinformation“, „Bereitstellung von Medien und Entleihung “ sowie „Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz und Leseförderung“ lässt – in seiner jetzigen Form – so gut wie keinen Spielraum für die „freiwillige“ kommunale Aufgabe eines Bibliotheksangebots.
So haben sich unter diesem Wettbewerb die Bezirke in den letzten Jahren teilweise bemüht, Kosten für einzelne Produkte zu senken, um wenigstens eine Zeit lang in die Gewinnzone bei diesen jeweiligen Produkten zu kommen.
Dies hat eine Spirale nach unten in Gang gesetzt, die inzwischen auch auf Kosten der Qualität geht. Das Ganze führt zu Ungerechtigkeiten im Bibliotheksnetz und bietet Fehlanreize, wie zum Beispiel Bibliotheken in sozial benachteiligten Gebieten zu schließen, weil dort die Besuchszahlen und die Entleihungen möglicherweise niedriger sind. Dies ist nicht unser politischer Wille. Für die Bibliotheken muss stärker als bislang berücksichtigt werden, in welchem sozialen Umfeld sie agieren. Auch der für zwei der drei Bibliotheksprodukte angewandte Sozialausgleich mit den so genannten „Planmengen“ löst die Ungerechtigkeit unter den Bezirken nicht wirklich auf.
Darüber hinaus formiert sich der Kreis der Nutzer*innen einer Bibliothek nicht unbedingt entlang administrativer Bezirksgrenzen. Hier bietet sich eine stärkere Orientierung am Sozialstrukturatlas an, der bei der Entwicklung eines Bibliothekskonzepts für Berlin dringend berücksichtigt werden sollte. Gerade in benachteiligten Gebieten sind Bibliotheken und ihr Bildungsauftrag wichtig. Deswegen muss eine stärkere Unterstützung für die Bibliotheken eingeführt werden, die sich den Herausforderungen in sozial benachteiligten Stadtteilen bewusst stellen und der Sozialausgleich in seiner jetzigen Form für die Bibliotheken überarbeitet werden.
Innovation unter Produktbudgetierung
Allerdings müssten auch die oben genannten Produkte der KLR der realen Situation angepasst werden. Leider existiert zu den Qualitätsindikatoren der Produkte derzeit keine Berichterstattung. Innovationen und Programmarbeit bleiben weitestgehend außen vor, die Bereitstellung von digitalen Angeboten etwa, die nicht zu Entleihungen führen muss, wird bisher unbefriedigend im Produktsystem abgebildet. Sogenannte „Inputziele“, wie die Kooperation mit anderen Trägern in einkommensschwachen Stadtteilen, fremdsprachige Angebote oder eine hohe Zahl an Internetarbeitsplätzen werden vom System solange bestraft, bis sie positive Effekte auf BesucherInnen- und Ausleihzahlen erzielen. Solche Entwicklungen verhindern Investitionen der Bibliotheken in Innovationen und in eine zukunftsfähige Ausrichtung der Bibliotheken. Dazu sind auch die Bezirke gefordert, denn sie defnieren die Produkte eigenständig. Wir wollen die entsprechenden Investitionen der bezirklichen Bibliotheken über die Landesebene fördern. Dazu müssen innerhalb des VOEBB passende Strukturen entwickelt werden, die eine angemessene Mittelverteilung über die ZLB in die Bezirke ermöglichen.
Entscheidungsstruktur des VOEBB
Aufgaben, Gremien und die Finanzierung des VOEBB sind zwischen dem Senat, den Bezirken und der Stiftung ZLB festgehalten. Haushaltspläne und größere Projekte wie die Einführung der RFID-Technologie für die Verbundbibliotheken zementieren diese Zusammenarbeit. Dennoch ist diese Struktur ohne formelle Verpfichtung zur Weiterentwicklung denkbar schlecht für die Bewerkstelligung größerer Projekte ausgestattet. Es mangelt extrem an Transparenz: seit 2009 hat es in Berlin keinen öffentlichen Bibliotheksbericht mehr gegeben und mit Beschluss der rot-schwarzen Koalition wird seit 2014 nicht einmal mehr dem Abgeordnetenhaus regelmäßig berichtet. Entscheidungen zu Investitionen bedürfen der Mehrheit in der so genannten Verbundkonferenz – in der knappen Finanzsituation der Bezirke ein relativ aussichtsloses Unterfangen. Es ist notwendig im Rahmen der Bibliotheksentwicklungsplanung zu prüfen, ob und wie bestimmte Anteile der Bibliotheksaufgaben unter dem Dach der ZLB oder über die Einrichtung einer bibliothekarischen Fachstelle durch den Senat besser in der Stadt organisiert und fnanziell unterstützt werden können. Dies muss bei bleibender inhaltlicher Unabhängigkeit der einzelnen Einrichtungen und bei einer tatsächlich differenzierteren Betrachtung nach lebensweltlich orientierten Räumen statt nur nach Bezirken passieren. Die öffentliche Berliner Bibliothekslandschaft braucht eine Struktur, die aktuellen Herausforderungen zeitnah Entscheidungen folgen lassen kann.
Auch die Probleme der Verbundstrukturen und der Kosten- und Leistungsrechnung in den Bezirken sollen nun im Rahmen der im Doppelhaushalt 2018/2019 eingestellten Gelder für einen Bibliotheksentwicklungsplan
nun endlich genauer identifziert und angegangen werden.
3.3. Raum- und Programmangebote – kulturelle und soziale Leistung der Bibliotheken
Finanzierung der Programmangebote
Bibliotheken machen Programmangebote, bieten Raum für Veranstaltungen und übernehmen für die Stadt außerordentlich wertvolle soziale und kulturelle Leistungen. Für diese gibt es keine verlässlichen Finanzierungsmittel.
Vieles der in den letzten Jahren in den Bibliotheken realisierten Programmarbeit war zu einem großen Teil EU-kofnanziert. Die EFRE-Mittel zur Förderung über das Programm Bibliotheken im Stadtteil (BIST) sind beispielsweise in der neuen Förderperiode 2014-2020 um ein Drittel reduziert worden. Entwickeln das Land Berlin, die Bezirke und der Verbund nicht äquivalente Fördermöglichkeiten in diesem Zeitraum, wird deutlich weniger als früher realisiert werden können und die Programmarbeit der Bibliotheken darunter leiden, zumal zum aktuellen Zeitpunkt völlig unklar ist, welche Schwerpunkte und welches Volumen die EU-Förderfonds nach der aktuellen Förderperiode haben werden.
Interkulturelle Ausrichtung der Bibliotheken
Es leben zunehmend Menschen in Berlin – auf Dauer oder temporär – die nicht Deutsch sprechen oder mehrsprachig sind, wobei Deutsch die Zweitsprache sein kann oder eine der Fremdsprachen. Bilinguale Familien suchen in den Bibliotheken Unterstützung für die Förderung der Sprachkenntnisse ihrer Kinder. Diese Entwicklung hat sich durch den starken Zuzug Gefüchteter in den vergangenen drei Jahren um ein Vielfaches verstärkt.
Eine weltoffene Stadt sollte diesen Bedürfnissen mit mehrsprachiger Information sowie einem mehrsprachigen Medienangebot Rechnung tragen. Ein weiter Kreis von Bibliotheksnutzer*innen hat Interesse daran, Belletristik und andere Angebote in anderen Sprachen auszuleihen. Ziel muss deswegen ein leicht auffndbares Angebot an Belletristik, an Kinder- und Jugendbüchern, Sachliteratur, Zeitungen oder anderen Medienangeboten in den Sprachen sein, die am meisten nachgefragt werden.
Bibliotheken können durch gezielte Angebote Menschen in dem Bestreben unterstützen, die deutsche Sprache zu erlernen. Dies gilt insbesondere für Gefüchtete und Menschen, die Gefüchtete unterstützen. Wir brauchen einen kontinuierlichen Ausbau des Angebots an Sprachlernmaterialien in den Bibliotheken, wie Sprachlernbücher, CDs, Sprachzeitschriften und andere Medienarten. Auch hier ist eine breite Vielfalt an Sprachen in Bibliotheken das Ziel. Neben Lehr- und Lernmaterialien muss hierbei vor allem auch die fachgerechte und langfristige Betreuung der Lernenden durch geschultes Personal sichergestellt werden, damit unsere Bibliotheken einen nachhaltigen Beitrag zur Integration leisten können.
Zum Standard der Bibliotheken gehört auch die interkulturelle Ausrichtung: Personalentwicklung (siehe oben), Schulungen des Personals im Sinn der Interkulturellen Öffnung und Medien und Programmangebote in verschiedenen Sprachen für die Berliner*innen mit Migrationshintergrund und mit Interessen an Fremdsprachen. Berlin ist eine multikulturelle Stadt. Daher ist es wichtig, dass jede Bezirksbibliothek auf die besonderen
Bedarfe der dort lebenden Bürger*innen mit Migrationshintergrund eingehen kann.
Erreichbare Angebote für alle
Zum Kodex der Bibliotheken gehört außerdem ausdrücklich, Inklusion zu fördern. Barrierefreie Medienbestände sind ein wichtiger Bestandteil dieser Prämisse. Die Bibliotheken sind die einzigen Bildungs- und Kulturinstitutionen, die Bürger*innen von der Kindheit bis ins hohe Alter in ihren Bildungsansprüchen begleiten. Durch die Bücherbusse sollen auch Senior*innen und weniger mobile Menschen dezentral erreicht
werden. Deswegen ist eine gut verteilte und verlässliche Fahrroute der Bücherbusse wichtig.
Heranführung der Nutzer*innen
Schließlich sollten sich die Bibliotheken verstärkt um Menschen bemühen, die bisher noch keine Bibliotheksnutzer*innen sind. Zur Heranführung an die Bibliotheken kann gezielt mit Ehrenamtlichen zusammengearbeitet
werden. Dazu sollte mit Elternvereinen, Kitas, Schulen und anderen Organisationen zusammengearbeitet werden, um ansprechende Formate zu entwickeln. Auch hier ist der Mehrsprachigkeit in Berlin Rechnung zu tragen.
In Kooperation mit Migrant*innenselbstorganisationen, Schulen oder in Berlin lebenden mehrsprachigen Autor*innen können beispielsweise mehrsprachige Vorlesestunden, interkulturelle Märchenveranstaltungen oder Theaterworkshops angeboten werden. Ehrenamtliche, mehrsprachige Programme für Lesepat*innen können die Nutzung der Bibliothek durch Kinder fördern, deren Eltern diese nicht in die Bibliotheken begleiten wollen oder können. Zu diesem Zeitpunkt und mit diesem niederschwelligen Zugang beginnt die Bindung der Nutzer*innen an das Bibliotheksangebot für ein lebenslanges Lernen und für die Freizeitgestaltung.
Kooperationen und Ehrenamt planen
Bibliotheken kooperieren bereits mit Volkshochschulen, mit bezirklichen Museen, Verlagen und Galerien und könnten dies noch mehr tun, würden Budgets und Personalausstattung dies zulassen. An einigen Orten werden „maker spaces“, kleine Entwicklungslabore technischer oder handwerklicher Art, ausprobiert. Migrant*innenenselbstorganisationen könnten noch mehr einbezogen werden. Berlin braucht eine Strategie, wie die Bibliotheken mit Ehrenamtlichen, Vereinen oder Trägern ergänzend zur hauptamtlichen Arbeit der Bibliothekar*innen gezielt Programmangebote entwickeln können, für die im folgenden auch EU- oder andere Mittel beantragt werden können.
Dabei sollte gezielt nach Kooperationsmöglichkeiten gesucht werden, durch die Lücken im Angebotskatalog der Bibliotheken geschlossen werden, die von bibliothekarischem Fachpersonal aktuell (noch) nicht gefüllt
werden können. Dies gilt insbesondere für die Programmarbeit an Sonntagen wie sie z.B. von der ZLB aktuell durchgeführt wird. An diesen Tagen können die Bibliotheken aufgrund arbeitsrechtlicher Bestimmungen
kein eigenes Personal einsetzen, weshalb die Kooperation mit zuverlässigen Partnerschaftsorganisationen hier einen besonderen Stellenwert einnimmt. Die Koordination dieser Aufgaben sollte vor allem Aufgabe der Bibliotheksleitungen sein, weshalb hierzu Leitungs- und Stabsstellen in Bibliotheken des Landes angemessen ausgestattet und mit fachlich geschultem Personal besetzt sein müssen.
3.4. Schulbibliotheken und Bibliotheksangebote für junge Menschen
Bibliotheken und Räume zum Lesen und Stöbern tragen zu selbstständigem Lernen und zur Wissensaneignung bei. Das gilt für gedruckte und elektronische Medien sowie für Möglichkeiten der Recherche in digitalen
Bibliotheksangeboten und im Internet. Das pädagogische Angebot von Schulen und Kitas wird zum einen durch Schulbibliotheken und zum anderen durch die wohnortnahen Bezirksbibliotheken mit ihrer Programmarbeit
zur Leseförderung und Medienkompetenz nachhaltig unterstützt.
Bibliotheken in den Schulen
Vielerorts gehören Schulbibliotheken zur Grundausstattung, ihre Ausgestaltung ist abhängig vom Schulprofl und von den örtlichen Gegebenheiten in und um die Schule. Aber leider fehlen für die Arbeit der Schulbibliotheken
in Berlin jegliche Standards. Die Angebote variieren in hohem Maße von Bezirk zu Bezirk, von selbst gesammeltem oder gesponsertem Medienbestand und ehrenamtlicher Betreuung bis hin zu professioneller bibliothekarischer Ausgestaltung. In den letzten Jahren wurden über Konjunktur- und EU-Mittel („Bildung im Quartier“) neue Schulbibliotheken installiert – Mittel für Personal zur fachgerechten Betreuung fehlten dabei allerdings fast immer. Nur an wenigen Schulen nehmen zur besseren Kooperation Bibliothekar*innen an den Schulkonferenzen teil.
Unter dem Schirm der ZLB gab es bereits eine Initiative zur Einrichtung einer zentralen „Schulbibliothekarischen Arbeitsstelle Berlin (SBA Berlin)“. Das daraus hervorgegangene „Neothek“-Papier erklärte, wie die Schulbibliotheken mit Dienstleistungen und Knowhow von Mitarbeiter*innen der Landes- und Bezirksebene oder mit einer einheitlichen Schulbibliothekssoftware unterstützt werden könnten – selbstverständlich verbunden
mit entsprechenden Kosten.
Problematisch ist, dass aufgrund von Platzmangel an den Schulen, Räume für Schulbibliotheken als Erstes dem Schülerwachstum weichen müssen. Zwar sind im Musterraumprogramm Schule explizit Flächen für Bibliotheken
vorgesehen, aber wenn nicht ausreichend Klassenräume für Schüler*innen geschaffen werden, sind die Vorgaben im Musterraumprogramm reine Makulatur. Und auch hier wirkt sich die Produktsummenbudgetierung
nachteilig aus, indem diejenigen Schulen zu Gewinnern im System gemacht werden, die möglichst viele Schüler*innen auf möglichst wenigen Quadratmetern unterbringen. Damit Schüler*innen aber im Lernort Schule eine vielfältige Freude am Lesen entwickeln, brauchen Schulen Räumlichkeiten, um Bibliotheken zu unterhalten. Überlegungen zu einer Schulbibliothekarischen Arbeitsstelle und zu deren Kosten müssen politisch diskutiert werden: denn wenn keine Stärkung der Bibliotheken in den Schulen möglich ist, dann müssen die schulnahen Bibliotheken für die Schulen gestärkt werden. Gerade im Rahmen der aktuellen Debatten um den Schulneubau für die wachsende Stadt sollte eine bibliothekarische Versorgung der Schüler*innen immer mitgedacht werden.
Kooperationen der Bibliotheken mit den Schulen
Es haben sich hervorragende Kooperationsmodelle zwischen Schulen und den wohnortnahen öffentlichen Bibliotheken etabliert, um die Sprach- und Leseförderung von Kindern und Jugendlichen zu fördern – dies bereits oft schon vom Kindergartenalter an. Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren erhalten vom VOEBB einen kostenlosen Mitgliedsausweis. Gerade die Stadtteilbibliotheken sind für Schüler*innen wichtiger Ort der selbstbestimmten Bildung. Über die Medienversorgung hinaus bieten sie auch Hausaufgabenbetreuung, Workshops rund um Bücher und Medien sowie Autor*innenlesungen an.
Bei den unter 18-jährigen Nutzer*innen sind die Bibliotheksangebote im Zusammenhang mit Schule deren wichtigster Besuchsgrund (74 Prozent). In der Gruppe der jungen Bibliotheksnutzer*innen mit Migrationshintergrund
sind es beispielsweise 82 Prozent, die die Bibliotheken für ihre Schularbeit nutzen. Der Nachfrage an Zusammenarbeit können die Kinder- und Jugendbibliotheken aber mangels qualifziertem Personal bzw. Budgets und räumlichen Ressourcen nicht in erforderlichem Maße nachkommen. Hier ist Unterstützung gefragt.
Verfügbarkeit und Ausstattung von Standorten für junge Menschen
Kinder müssen auch außerhalb ihrer Schulzeit Zugang zu Bibliotheken haben, entweder in der Nähe ihrer Schule oder in der Nähe ihres Wohnorts. Das muss bei der Standortplanung berücksichtigt werden. Die „Bücherbusse“
sind immer nur eine Ergänzung zum Angebot in den Bibliotheken und in den Schulen und können einen dezentral zu erreichenden Stadtteilstandort nicht ersetzen. Bibliotheken fungieren nicht nur als Ausleihort, sondern wollen junge und alte Menschen mit entsprechendem Angebot auch an die Bibliothek als sozialer Freizeit- und Erlebnisort binden. Entsprechend hat sich die steigende Bedeutung einer angenehmen Aufenthaltsqualität in der Architektur vieler neuerer Bibliotheksbauten der letzten Jahre niedergeschlagen. Diese Neuerungen sollten besonders für die Entwicklung der wachsenden Stadt Berlin berücksichtigt werden. Wo Bibliotheken aus- oder gar neu gebaut werden, müssen diese die höchstmögliche Aufenthaltsqualität mitbringen und aktuelle Raumbedürfnisse für neue Formen der Medienvermittlung erfüllen.
Medienbildung für junge Menschen
Hinzu kommt, dass Medienbildung trotz einzelner ausdifferenzierter Schulprogramme – angesichts organisatorischer, politischer und technischer Hürden – bisher noch keine feste Position im Alltag der Schulen gefunden
hat. Zwar existiert ein eEducation-Masterplan zu Fragen der Medienbildung für Schüler*innen und Lehrer*innen, zur Bereitstellung von entsprechender Hardware und zur Vernetzung. Dieser Masterplan ist jedoch seit Jahren unzureichend aktualisiert worden. Auch das Projekt eGovernment@school zur Einführung einer berlinweit einheitlichen Schulverwaltungssoftware ist vorerst gescheitert und verzögert sich damit vermutlich um viele Jahre.
Diese beiden Projekte beinhalten aber wichtige Schnittstellen zum Thema Schulen und Bibliotheken. So wäre es durchaus sinnvoll, die Schulbibliotheken bei der Hardware-Ausstattung von Schulen und bei Vernetzungsmaßnahmen zu bedenken und sie in die einheitliche Schulverwaltungssoftware zu integrieren.
Eine weitere sinnvolle Maßnahme wäre es, die Kooperation der Schulen mit den Bibliotheken zum Thema Medienbildung und Informationskompetenz – zum Beispiel durch ein entsprechendes Landesprogramm – auszubauen und zu verstetigen.
3.5. Bedarf und Ausrichtung der Wissenschaftsbibliotheken
Bedeutung von Hochschulbibliotheken in der Hochschulfinanzierung
Wissenschaftsbibliotheken sind mehr als nur Orte der Versorgung von Studierenden und Wissenschaftler*innen mit Literatur. Sie sind zentrale Orte des Lernens und Forschens und damit ein unverzichtbarer Pfeiler wissenschaftlicher Arbeit. Und sie werden als reale und virtuelle Lern- und Forschungsräume zukünftig noch mehr an Bedeutung gewinnen, denn das Internet verändert durch seine neuen Möglichkeiten wie den Einsatz von partizipativen und kollaborativen Technologien stark die Art, wie wir Lernen, Lehren und Forschen. Dem müssen sich auch die Bibliotheken stellen, was sie auch bereits vielfach im Rahmen ihrer Möglichkeiten, tun. Dabei ist es allerdings mit einer Umstellung auf Hybrid-Bibliotheken, die sowohl gedruckte als auch digitale Publikationen und Informationen bereitstellen, nicht getan.
Der drastische Abbau des Medienbestandes in den vergangenen 15 Jahren (insbesondere im Bereich der Periodika, aber auch durch Aufösung ganzer Teilbibliotheken) scheint gegenwärtig kaum wieder vollständig umkehrbar. Eine Konsequenz aus dieser Entwicklung muss aber sein, dass die Relevanz von wissenschaftlichen Bibliotheken künftig zum Beispiel auch im Rahmen der Hochschulfnanzierung stärker berücksichtigt wird. Wir setzen großes Vertrauen in die Fähigkeiten der Hochschulen zur zeitgemäßen Ausstattung und Entwicklung ihrer Hochschulbibliotheken. Dennoch wollen wir nicht ausschließen, dass eine gezielte Förderung und eine Klärung der Aufgaben von Hochschulbibliotheken über die Steuerungsinstrumente des Landes, insbesondere im Zusammenhang mit Digitalisierungsaufgaben, in zukünftigen Hochschulvertragslaufzeiten sinnvoll werden könnte.
Open Access/Open Data
Aus grüner Sicht ist das Open-Access- bzw. Open-Data-Prinzip an Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen wichtiger Bestandteil einer zukunftsfähigen Wissenschafts- und Bibliotheksstrategie. Das steht nicht im Widerspruch zu einer späteren wirtschaftlichen Verwertung von Forschungsergebnissen, aber es verhindert ihre Monopolisierung durch einzelne Personen, Institutionen oder Unternehmen und den Ausschluss breiter Bevölkerungskreise davon. Schon jetzt sind einige Universitätsbibliotheken auch als Herausgeberin von wissenschaftlicher Literatur tätig. Dies auszubauen und hier verstärkt auf Open Access zu setzen, kann eine wichtige Rolle spielen. Wir blicken hierbei gespannt auf die im Koalitionsvertragsentwurf der neuen Bundesregierung in Aussicht gestellte nationale Open-Access-Strategie und werden uns weiterhin an den Debatten um Open Access und Open Data beteiligen. Viele große Forschungsgesellschaften unterstützen Open Access bereits seit Langem und machen die Publikation der Ergebnisse zur Voraussetzung von Projektförderungen. Bibliotheken können hier einen wertvollen Beitrag dazu leisten, dass Forscher*innen ihre Ergebnisse für möglichst viele Interessierte kostenlos und möglichst barrierefrei zugänglich machen können. Die Berliner Hochschulen und ihre Bibliotheken sollten die Chance nutzen, die der aktuelle Ausbau von Open Access bietet, um auch in diesem Bereich ihre exzellente Position in der nationalen und internationalen Wissenschaftslandschaft zu behaupten. Für uns ist es dabei selbstverständlich, dass mit öffentlichen Mitteln geförderte Forschung auch öffentlich zugänglich sein muss, denn der Zugang zu Wissen ist eine wesentliche Grundlage einer informierten Demokratie und der sozialen Teilhabe daran.
Architektur und Arbeitsplätze
Für die effektive Nutzung von Bibliotheken als Lernort der Zukunft muss der entsprechende Bedarf an adäquaten Gruppenarbeitsräumen und Kommunikationszonen sowie an ruhigen Einzelarbeitsplätzen gedeckt werden. Dies erfordert auch eine Anpassung der vorhandenen Flächen an die veränderten Bedürfnisse in der digitalen Welt. So sinkt die Nachfrage nach gedruckten Medien vielerorts, elektronische Publikationen gewinnen immer sehr an Bedeutung. Das hat auch Auswirkungen auf die Anforderungen an Architektur und Infrastruktur von Bibliotheken: mehr Bildschirmarbeitsplätze, fexibles Mobiliar, das den neuen Nutzungsgewohnheiten angepasst werden kann, verbesserte digitale Infrastruktur und WLAN sind wichtige Bestandteile zukünftiger Bibliotheksgestaltungen in der Wissenschaft.
Öffnungszeiten der Hochschulbibliotheken
Dabei stellt sich auch die Frage nach der Verfügbarkeit dieser Arbeitsplätze und des Zugangs zu Bibliotheken. Ein wichtiger Punkt sind hier die Öffnungszeiten. Zumindest die zentralen Bibliotheken, die die grundlegenden
Standards abdecken, sollten an sieben Tagen der Woche von 8.00 bis 22.00 Uhr geöffnet sein. Dabei braucht es auch an entlegeneren Standorten wie z.B. Adlershof eine Form von Zentralbibliotheken. Die für spezialisierte Fachliteratur zuständigen Fachbereichs- und Institutsbibliotheken können solche Öffnungszeiten jedoch i.d.R. nicht anbieten.
Generell sollten die Öffnungszeiten wissenschaftlicher Bibliotheken möglichst genau an die tatsächlichen Bedürfnisse ihrer Nutzer*innen angepasst werden. Dabei muss eine Vielzahl von Faktoren abgewogen werden,
vom Nutzungsverhalten der Nutzer*innen im Zusammenhang mit Prüfungen und Vorlesungszeiten über die Lage und das Angebot der jeweiligen Bibliothek bis hin zur Verfügbarkeit des Fachpersonals, sodass eine pauschale Forderung nach durchgehenden Öffnungszeiten – 24/7 – nicht umsetzbar und auch nicht immer sinnvoll ist. Inwiefern erweiterte Öffnungszeiten in Randzeiten möglich und nötig sind und in welchem Maße in diesen Zeiten auf Teile des bibliothekarischen Angebotsspektrums verzichtet werden kann, sollte dabei idealerweise von den Expert*innen vor Ort entschieden werden.
Reaktion auf wachsende Zahl der Studierenden
Auch die wachsende Anzahl von Studierenden stellt eine Herausforderung für die wissenschaftlichen Bibliotheken dar. Um ihrem Lehr- und Forschungsauftrag gerecht zu werden, ist es nachvollziehbar, wenn Hochschulen und wissenschaftliche Einrichtungen bei besonders stark nachgefragten oder seltenen Büchern ihren eigenen Studierenden und Mitarbeiter*innen bevorzugten Zugang gewähren. Auch müssen sich immer mehr Studierende und Forscher*innen den knapper werdenden Raum in Bibliotheken teilen. Um dem zu begegnen, braucht es hier mehr Arbeitsplätze vor Ort, die der reinen Bibliotheksarbeit vorbehalten sind. Für Gruppenarbeit können zum Teil auch temporär leerstehende Seminarräume genutzt werden. Dennoch muss bei der Neu- und Umgestaltung wissenschaftlicher Bibliotheken und bei der Raumverteilung innerhalb der Hochschulen dem steigenden Raumbedarf bei bibliothekarischen Angeboten Rechnung getragen werden. Dies gilt insbesondere für spezielle Bedarfe wie z.B. die Versorgung mit Räumen zur Arbeit mit besonderen Formen von audiovisuellen Medien.
Bei dem durch die ZLB zu erarbeitenden Bibliothekskonzept und bei der Bibliotheksplanung durch die Hochschulen muss dabei dringend berücksichtigt werden, dass die wissenschaftlichen Bibliotheken bereits
jetzt durch Externe und die Bibliotheken des VÖBB ebenfalls von Studierenden genutzt werden. Die ZLB, als Hybrid aus wissenschaftlicher und öffentlicher Bibliothek, kann im Rahmen der Standortentwicklung Vorbild
dafür werden, wie beide Nutzungsgruppen in Zukunft zusammen gedacht werden können. Wenn dies gelingt, könnten und sollten auch die Hochschulbibliotheken zukünftig verstärkt als die öffentlichen Orte wahrgenommen und genutzt werden, die sie formal bereits jetzt schon sind.
Aus- und Weiterbildung des Fachpersonals
Das klassische Arbeitsfeld der Fachangestellten im Bereich Bibliotheken und Medien und der wissenschaftlichen Bibliothekar*innen ist durch die neuen Möglichkeiten der digitalen Medien umfassender und komplexer geworden. Neue Aufgabenbereiche mit neuen Anforderungen sind hinzugekommen und die Herausforderungen ändern sich kontinuierlich. Den Beschäftigten in den Bibliotheken kommt in diesem Kontext eine große Bedeutung zu, nicht nur als Bewahrer*innen der und Wegweiser*innen durch die Infrastruktur.
Sie sind gewissermaßen die „gatekeeper of reliable information“ und gewährleisten, dass Bibliotheken ihre Aufgabe als wichtiger Pfeiler wissenschaftlicher Arbeit erfüllen können. Unverzichtbar für gute Bibliotheken ist daher gut ausgebildetes Fachpersonal. Vor dem Hintergrund des rasanten Medienwandels und der sich verändernden Aufgabenprofle wissenschaftlicher Bibliotheken muss außerdem gesichert sein, dass bibliothekarisches Fachpersonal regelmäßig an Fort- und Weiterbildungen teilnehmen kann, damit eine bibliothekarische Versorgung auf einem Niveau gewährleistet werden kann, das der exzellenten Wissenschaftslandschaft unserer Stadt entspricht.
3.6. Grüne Bibliotheken und ihre Anbindung an die Stadtraumgestaltung
Einbindung in Quartierslandschaften
Wichtig ist eine kluge Standortwahl und die Eingliederung von Bibliotheksstandorten in lebendige Quartierslandschaften. Die Menschen wollen kurze Wege und eine Anbindung an die Infrastruktur ihres Alltags.
Bibliotheken sind Kommunikationsorte und stehen in Verbindung mit dem angrenzenden Umfeld, auf das sie sich positiv auswirken. Ein Aufbrechen von räumlichen Strukturen der Bibliotheksgebäude, eine Durchlässigkeit
hin zu angrenzen Innen- und Außenfächen sowie die Etablierung mobiler Module wie Bücherautomaten an Alltagsorten nach dem Kölner Beispiel der Krimiautomaten auf U-Bahnhöfen, moderne Leitsysteme und mehr Barrierefreiheit bieten Möglichkeiten, um Bibliotheksangebote zukünftig noch stärker in die Gesellschaft hinein zu kommunizieren. Eine einladende Außenraumgestaltung ist unverzichtbar und eine räumliche Nähe zu Parkanlagen und öffentlichen Plätzen zum Beispiel ideal. Sowohl die Gebäude als auch die Umgebung der Bibliotheksstandorte brauchen eine hohe Aufenthaltsqualität und müssen Raum für Rückzug und Pause vorhalten.
Gerade vor dem Hintergrund der Erschließung neuer Quartiere für die wachsende Stadt sollte eine qualitativ hochwertige und stadträumlich ansprechende bibliothekarische Versorgung automatisch mitgedacht werden.
Partizipation bei der Ausgestaltung
Die individuelle Ausgestaltung von Bibliotheksstandorten kann nur in einem partizipativen Verfahren mit den jeweiligen Nutzer*innen erfolgen. Bibliotheksplanung und -entwicklung braucht eine Bürgerbeteiligung, damit die Einrichtungen auch in all ihren Facetten angenommen werden. Ziel muss die bezirkliche Vernetzung mit dem Quartiersmanagement und mit Stadtteilzentren sein, um alle dort lebenden Bevölkerungsgruppen zu erreichen und durch gemeinsame Aktionen und Veranstaltungen eine Öffnung der Bibliotheken sowohl räumlich als auch inhaltlich zum Quartier zu erlangen.
„Grüne Bibliothek“
Vor dem Hintergrund des weltweiten Klimawandels und der Ressourcenknappheit muss eine „Grüne Bibliothek“ – wie wir sie anstreben – sowohl in ihrer äußerlichen wie inhaltlichen Konzeption Aspekte der Nachhaltigkeit
aufgreifen. Herausragendes Beispiel ist die Nationalbibliothek in Singapur, die als grünstes und ökologisches Gebäude der Welt gilt. Schon Kinder können hier durch die Vermittlung der Bauweise und der verwendeten Materialien, ergänzt durch ein thematisch anschließendes Medienangebot, ökologische und energetische Grundsätze erlernen. Vom baulichen Konzept und der Innenausstattung über das Medien- und IT-Angebot bis zum Gastronomiebereich müssen Bibliothekseinrichtungen heute ökologisches Bewusstsein beweisen und eine gesellschaftliche Vorbildfunktion einnehmen. Dies gilt sowohl für Neubauten als auch bei der zeitgenössischen Sanierung alter Gebäude mit modernem architektonischen Anspruch.
Deutschland hat hier einiges nachzuholen, was sowohl bei der Planungen der baulichen Neuausrichtung der ZLB als auch bei der Sanierung und Erweiterung der bezirklichen Standorte oder der Hochschulbibliotheken
berücksichtigt werden muss.
3.7. Zukunftspotentiale nutzen – Medien- und Innovationsentwicklung
Digitaler Paradigmenwechsel
Bibliotheken sind aktuell besonders stark vom digitalen Paradigmenwechsel betroffen. Die Nachfrage und Verbreitung digitaler Verwertungsformen und elektronische Formate des geschriebenen Wortes, seien es EBooks
der E-Paper, Audio- oder Videoformate, steigen rasant. Die Bibliotheken stehen einer nachwachsenden Generation gegenüber, die Kindheit als eine „digitale Kindheit“ erlebt und zusehends von originär, nur digital erstellten Kulturprodukten umgeben ist oder diese erschafft. Hier gilt es das digitale Angebot von neuen Medien stetig auszubauen und der aktuellen Nachfrage durch die Nutzer*innen nachzukommen, insbesondere in der Frage, was die Gerätekompatibilität für die Ausleihe von E-Medien anbelangt. Dazu gehört auch immer die sachliche Betreuung der Nutzer*innen durch geschultes Bibliothekspersonal, die gerade in Zeiten eines rasanten Wandels in der Mediennutzung ein maßgebliches Argument für die Stärkung und den Ausbau bibliothekarisch betreuter Angebote ist.
Digitale Medienpädagogik
Mit der Digitalisierung geht die Notwendigkeit einer umfassenden Medienpädagogik und Beratungsarbeit in den öffentlichen Bibliotheken einher. Die Nachfrage danach ist groß und ihr ist bereits heute kaum nachzukommen.
Auch in der Kooperation mit Schulen sind Bibliotheken ein sinnvoller Partner für die unterrichtsergänzende Bildung der Schüler*innen, beispielsweise zum Thema Cybermobbing oder Datenschutz. Aber auch die grundsätzliche digitale Leseförderung – und darin inbegriffen die Vermittlung von Kompetenzen zur digitalen Quellensuche und -selektion, zu Grundstrukturen hinter Angeboten und zur Erstellung und digitalen Veröffentlichung eigener Inhalte – gehören auf die Agenda der Bibliotheksarbeit.
Der richtige Mix
Der Bedarf an digitalen Angeboten ist nicht überall gleich groß. Im Bildungs- und insbesondere im Kinderbereich bleibt der haptische (also der den Tastsinn betreffende) Umgang mit Medien aus pädagogischer Sicht weiterhin unverzichtbar. Wichtig ist daher ein richtiges Gleichgewicht von digitalem und analogem Angebot im Freihandbereich.
Raumangebot – Internetangebot
Mit neuen digitalen Produkten kann eine Platzersparnis einhergehen, deren Konsequenzen Veränderungen in der Raumarchitektur von Bibliotheken sein werden und womit die Möglichkeit geschaffen ist, vermehrt Plätze für Arbeit oder Entspannung einzurichten. Diese Entwicklungen müssen jedoch behutsam durchgeführt und fachlich betreut werden. Analoge Medien, allen voran das Buch, bleiben wichtig. Dazu braucht auch der digitale Raum einen realen öffentlichen Raum des Austauschs, den öffentliche Bibliotheken bereitstellen können, zumal in Bibliotheken digitale Inhalte auch für Nutzer*innen zugänglich gemacht werden können, die nicht zu den sogenannten Digital Natives gehören oder die aufgrund anderer Einschränkungen Schwierigkeiten mit der Nutzung bestimmter Medienformen haben.
Die Arbeitswelt hat sich stark verändert und gerade die Berliner Gründerszene ist auf kommunikative Räume angewiesen, die digitale Schnittstellen zwischen Bildung, Forschung und Produktion ermöglichen. Die Rolle der Bibliotheken als Weiterbildungsort und Arbeitsraum für Nutzer*innen wird sich, wie bei den wissenschaftlichen Bibliotheken, zunehmend verstärken. Zur Steigerung der Bildungschancen und Teilhabegerechtigkeit ist der Ausbau von Internetarbeitsplätzen – fachlich betreut – und kostenlosem WLAN in den Bibliotheken für die Nutzer*innen, für Kinder und Jugendliche dringlichste Zukunftsaufgabe. Dazu gehört selbstverständlich auch, dass sämtliche Bibliotheksstandorte Zugang zu schnellen Internetleitungen benötigen, damit möglichst viele Nutzer*innen die vielfältigen digitalen Angebote der Bibliotheken auch vor Ort abrufen können.
Digitale Leihgeräte
Nach dem Vorbild anderer Großstädte müssen auch die Berliner Bibliotheken zeitnah ihr Serviceangebot hinsichtlich der Bereitstellung digitaler Leihgeräte wie Laptops, Tabletts, mp3-Player etc., ausbauen. Unverzichtbar
bleibt auch der Erhalt des Medienzentrums mit Abspielmöglichkeiten für Filme im Kinoformat. Auch wenn die öffentlichen Berliner Bibliotheken mit der Einführung von RFID in den letzten Jahren bereits einen großen Schritt in Richtung Medieninnovation in Bibliotheken unternommen haben, brauchen die Bibliotheken mehr Investition im technischen Bereich, zum Beispiel für die Entwicklung von weiteren Bibliotheks-Apps oder auch für den Ausbau von Streaming-Angeboten. Voraussetzung dafür ist jedoch eine enge Abstimmung zwischen dem Bibliotheksverbund, dem Land Berlin und den Bezirken verbunden mit einer Aufstockung des fnanziellen Spielraums, auch für den Unterhalt und für die technische Betreuung neuer Angebote.
Digitale Werksformen und Bibliotheken
Wir unterstützen die vom Bibliotheksverband vorgebrachte Forderung, dass durch eine Novellierung des Urheberrechts die Ausleihe von E-Books der Ausleihe von gedruckten Büchern gleichgestellt wird und es hier zu einer Vergütung analog der bereits existierenden Bibliothekstantieme kommt. So kann eine zeitgemäße Informationsversorgung durch die Bibliotheken dauerhaft auch in der digitalen Welt gewährleistet sein und sich eine legitime private und pauschal vergütete Nutzung von digitalen Werken über das Leihsystem der Bibliotheken in der breiten Bevölkerung etablieren. Dazu gehört ebenfalls eine gesetzliche Landesregelung zur Abgabe eines digitalen Pfichtexemplars an die ZLB.
Digitalisierung und Archivierung durch Bibliotheken
Die Digitalisierung von Gütern zur Bewahrung des kulturellen Erbes ist ein Weg der Archivierung, dessen optimales Format noch weiter erforscht und von Restaurierung begleitet werden muss. Auch der Zugang zu und die Bewahrung und Archivierung originär digitaler Werke ist eine kulturpolitische Aufgabe, die in den Kompetenzbereich der öffentlichen Bibliotheken fällt. Dafür braucht es ebenfalls die Einführung einer digitalen Pflichtexemplar-Regelung für die ZLB. Perspektivisch sollte im Rahmen der Bibliotheksentwicklungsplanung geprüft werden, welche Herausforderungen bei Archivierungs- und Digitalisierungsaufgaben absehbar sind und inwiefern zur Bewältigung dieser Herausforderungen Kooperationen im Rahmen bestehender oder neuer Verbundstrukturen möglich und sinnvoll sind. Hierbei würde es sich u.U. anbieten, der Bedarf der wissenschaftlichen und der öffentlichen Bibliotheken gemeinsam zu berücksichtigen.
Die Digitalisierung der Medien und Kulturgüter darf nicht dazu führen, dass neue Urheberrechte oder andere Nutzungseinschränkungen an den erstellten Digitalisaten entstehen, auch wenn wir unterstützen, dass die öffentlichen Bibliotheken zum Teil Nutzungsgebühren erheben, wenn sie die Kosten der Digitalisierung ohne Beteiligung Dritter stemmen.