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Demorouten veröffentlichen? Na klar!

Menschen heben ihre Hände bei einer Demonstration in die Luft Foto: Chris Slupski/Unsplash_CC0

Eine rechtliche und politische Betrachtung zur aktuellen Frage, ob die Polizei Demonstrationsrouten veröffentlichen soll

Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher, klärt die rechtlichen Grundlagen für die Veröffentlichung von Demonstrationsrouten, den Umgang von Demos und Gegendemos sowie die Berliner Praxis und stellt den Grünen Vorschlag für ein neues Versammlungsfreiheitsgesetz (S.3 ff, Freiheitsrechtestärkungspaket_Grüne.pdf ) in Berlin vor.

„Geh mal wieder auf die Straße, geh mal wieder demonstrieren. Denn wer nicht mehr versucht zu kämpfen, kann nur verlieren!“ (Deine Schuld, Die Ärzte)

Gestern sorgte die Meldung „Polizei will Demonstrationsrouten nicht mehr veröffentlichen“ für Irritationen (Berliner Morgenpost, 24.04.19). Nach viel Kritik wurde klar gestellt, dass die Polizei auch weiterhin die Strecken bekannt geben wird. Anstoß soll ein Gutachten des Justiziariats gewesen sein, nach dem die Polizei nicht verpflichtet sei die Streckenverläufe preiszugeben. Die Veröffentlichung würde zudem in die Grundrechte der Anmelder*innen eingreifen, da die Strecken durch Gegendemonstrationen möglicherweise verändert werden könnten.

 

Rechtliche Situation: „Versammlungen sind ein Stück ungebändigter, unmittelbarer Demokratie“ (BverfGE 69, 315 – Brokdorf)

In der Tat, es gibt keinen gesetzlichen Anspruch auf die Veröffentlichung von Versammlungsthema und -route. Das geltende Versammlungsgesetz verhält sich dazu nicht. Ob nach dem geltenden Berliner Informationsfreiheitsgesetz eine Auskunft erlangt werden kann, ist unklar. Aufgrund der transparenten Berliner Praxis sind mir diesbezüglich keine Klagen bekannt. Jedenfalls müssten diese Informationen durch einen einzelnen, individuellen Antrag erfragt werden und sind gebührenpflichtig (FragdenStaat.de: Auszug aus Veranstaltungsdatenbank zu „unteilbar“-Demo [#34031] weitere Informationen auf FragdenStaat.de). Eine allgemeine Veröffentlichungspflicht für Demos gibt es im IFG nicht.

Fakt ist aber auch, dass Gegendemonstrationen – unter bestimmten Bedingungen, selbst Sitzblockaden – von der Versammlungsfreiheit gem. Art. 8 Abs.1 GG und Art. 23 Verfassung von Berlin (VvB) umfasst sind (BverfGE 87, 399 – Versammlungsauflösung). Die Ausübung des Rechts auf Gegendemonstrationen setzt aber voraus, dass der Staat die Informationen zu angemeldeten Demonstrationen zur Verfügung stellt. Unzulässig wäre es, wenn diese Informationen nur zu bestimmten Demos mitgeteilt würden, diese quasi als staatliche Warnungen vor Versammlungen aus einem bestimmten Spektrum verstanden werden könnten und der Staat damit seine Neutralitätspflicht verletzt. Für Parteien, die gem. Art. 21 GG zur Willensbildung beitragen, gilt dies nicht. Die Auskunft über angemeldete Demonstrationen muss also alle Demonstrationen umfassen, nicht nur bestimmte. Zu öffentlichem Unmut kommt es zwar regelmäßig, wenn die Polizei eine zuerst angemeldete Demonstration schützt und Gegendemonstranten von der Strecke verweist. Aber auch diese Handlung ist rechtlich nicht zu beanstanden, da Maßnahmen gesetzeskonform nur gegen diejenigen erlassen werden, die gegen die ursprünglich angemeldete Versammlung demonstrieren wollen (PM: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen versammlungsrechtliche Auflagen).

Das Argument des Justiziariats der Berliner Polizei, durch die Veröffentlichung würden die Grundrechte der Versammlungsanmelder*innen verletzt, weil sie möglicherweise ihre Route ändern müssten, kann im Ergebnis nicht überzeugen. Ein*e Anmelder*in einer Versammlung wendet sich ohnehin an die Öffentlichkeit, um entsprechend öffentlich für eine bestimmte Position zu werben. Ein Recht auf Geheimhaltung kann es nicht geben. Außerdem ist die kritische, aber nicht störende Teilnahme im Versammlungsgesetz bereits jetzt geschützt, § 18 Abs. 3 VersG. Wie bei strittigen Wegstrecken rechtlich vorzugehen ist, hat das Bundesverfassungsgericht an einem Berliner Fall im Jahr 2005 geklärt (Beschluss des BverfGE vom 06.05.2005).

Praktische Situation – Die Berliner Linie hat sich etabliert

Seit Jahren besteht in Berlin die Praxis, Versammlungsthemen und -routen zu veröffentlichen (Tagesspiegel, 14.04.19). Der Senat gibt auf Anfrage von Abgeordneten und Medienvertreter*innen die Routen und Themen von Demonstrationen zeitnah heraus (PM: Informationen zu Demonstrationen: Aktuelle Praxis bleibt bestehen).

In Berlin gibt es pro Jahr 5.000 Demonstrationen, die meisten davon friedlich (Schriftl. Anfrage zu Versammlungen und Gegenversammlungen). Die Berliner Polizei ist aufgrund der Berliner Demo-Geschichte bundesweit Vorbild deeskalierend Demos und Gegendemos zu schützen, mit einigen wenigen Ausnahmen. Das in den 1970er Jahren vom damaligen Polizeipräsidenten Erich Dünsing geprägte „Leberwurst-Prinzip: In der Mitte hineinstechen und nach beiden Seiten ausdrücken“ hat sich längst überlebt. Seit einem Jahrzehnt kam es in Berlin zu keinem Wasserwerfereinsatz mehr. Der 1. Mai ist weitestgehend befriedet. Es gilt der Grundsatz, die Polizei schützt die Versammlungsfreiheit, nicht das Versammlungsthema.

Einheit von Recht und Taktik – Einsatztaktische Situation

Das in Rede stehende Gutachten des Justiziariats der Berliner Polizei ist mir bisher nicht bekannt, ich habe es heute bei Torsten Akmann, dem Staatssekretär für Inneres, angefordert. Ob dieses Gutachten der Polizei aus dem Jahr 2013 auch einsatztaktische Erwägungen beinhaltet, kann ich nur vermuten. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Aber auch einsatztaktisch ist gegen die Veröffentlichung von Gegendemonstrationen unter Abwägung der Vor- und Nachteile und unter Berücksichtigung der rechtlichen Bedingungen nicht viel zu sagen. Klar, Gegendemonstrationen haben so den Vorteil, stärker und gezielter zu informieren und zu mobilisieren, sodass der polizeiliche Kräfteeinsatz durchaus steigen dürfte. Ziel des polizeilichen Handelns ist aber die Gefahrenabwehr und nicht der schonende Kräfteeinsatz. Würden Demonstrationen nun nicht mehr bekannt gegeben, hätte dies zur Folge, dass sich aus dem Nichts Gegendemonstrationen bilden können. So etwa am Mehringdamm im Mai 2011: Hier hatte die Polizei die Strecke einer Nazi-Demonstration nicht bekannt gegeben und es kam zu gefährlichen Übergriffen auf Gegendemonstrant*innen (Tagesspiegel, 06.07.2011) und wie ich mich lebhaft erinnere, an einen mehr als chaotischen Polizeieinsatz. Ein anderes Beispiel bildet die die sog. Heß-Demonstration. Auch hier kam es aufgrund der unklaren Lage zu gefährlichen Auseinandersetzungen, die durch ein geordnetes Verfahren und eine transparentere Informationspolitik zumindest hätte reduziert werden können. Zu recht heißt es in der Polizeiausbildung zur Einsatztaktik: „Polizeiliches Handeln kann nicht nur Bewältigung aller plötzlich auftretenden Ereignisse bedeuten, sondern muss im Wesentlichen antizipativ, d.h. vorausschauend und -planend sein.“ (Loest/Grigoleit „Grundlagen des Polizeieinsatzes“, S. 18). Ein weiterer, positiver Nebeneffekt dieser sogenannten Zeitlage ist, dass sich auch Anwohner*innen, Gewerbetreibende und Verkehrsteilnehmer*innen besser auf Demos einstellen können.

Politische Situation, Ausblick und Grüne Forderungen

Wir GRÜNE setzen uns für einen entspannteren, rechtsstaatlichen Umgang mit Demos in Berlin ein. Wir sind der Auffassung, dass die Zivilgesellschaft stark genug ist bestimmte Demonstrationen auszuhalten und den friedlichen Protest gegen sie zu organisieren. Auch die Berliner Polizei ist gut genug aufgestellt, um die relativ wenigen heiklen Demonstrationen zu bewältigen. Geheimhaltung wäre ein Zeichen der Schwäche und Überforderung, völlig fehl am Platz. Wir haben den Satz „Die Koalition will Zeit und Ort von Demonstrationen veröffentlichen und setzt sich dafür ein, dass Gegenproteste in Hör- und Sichtweite zugelassen werden.“ in den Koalitionsvertrag gebracht. (S.150 Koalitionsvereinbarung) Zudem haben wir ein eigenes Versammlungsfreiheitsgesetz (S.2 ff Freiheitsrechtestärkungspaket_Grüne.pdf ) vorgelegt, das – wenn es so umgesetzt wird – bundesweit das versammlungsfreundlichste wäre. Neben einer gesetzlichen Pflicht zur Veröffentlichung aller angemeldeten Demonstrationen, wollen wir die Versammlungsbehörde aus dem Polizeilichen Staatsschutz herausnehmen. Selbst die brenzligsten Demonstrationen sind nicht staatsgefährdend. Und als Mitglied im Untersuchungsausschuss „Terroranschlag Breitscheidplatz“ kann ich absolut bestätigen, dass der Staatsschutz ganz anderen Herausforderungen gegenüber steht. In fast allen anderen Bundesländern sind die Versammlungsbehörden übrigens nicht bei der Polizei. Diese kann und muss in Amtshilfe tätig werden, wenn es erforderlich sein sollte und eine Gefahrenprognose dies hergibt. Nur zur Erinnerung: Von den 5.000 Demos in Berlin sind fast alle völlig friedlich. Die Liberalisierung der Versammlungsfreiheit gilt dann aber für alle Versammlungen, nicht nur für Versammlungen die uns gefallen. Aber so ist das in der Demokratie!


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