Plenarrede von Silke Gebel zur Aktuellen Stunde „Mit Solidarität und Umsicht gegen die Pandemie“
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
für mich ist Weihnachten normalerweise die schönste Zeit im ganzen Jahr. Ich mag die Feststimmung. Ich reise jedes Jahr zu meiner verstreuten Großfamilie. In diesem Jahr nicht. Weihnachten 2020 feiere ich nur mit meinen Kindern und meinem Mann in Berlin. Ohne Besuch. Ohne Großeltern, ohne Tanten, ohne Onkel, ohne Cousinen oder Cousins. Reisen ist in 2020 nicht drin. Weil Corona ist. Und natürlich ist das Mist. Aber ich erzähle das hier und jetzt, weil ich mir wünsche, dass alle Berliner*innen das so handhaben. Weihnachten 2020 darf nicht zum Corona-Super-Spreading-Event werden, das noch dazu in die Familiengeschichte eingeht, weil es das letzte Mal war, dass man die Oma gesehen hat. Es ist wichtig, dass wir dieses Jahr im kleinsten Kreis feiern. Denn das rettet Leben. Auch die Leben unserer Liebsten. Deshalb feiern Sie bitte zu Hause. Aus Solidarität.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Zahlen sind alarmierend. Zwei von drei Berliner Corona-Ampeln stehen bereits auf Rot. Berlin hat es mit härteren Maßnahmen als in anderen Bundesländern geschafft, dass die Zahlen etwas gesunken sind, aber auch bei uns steigen sie nun erstmals wieder leicht an. Allein von gestern auf heute wurden über 1000 Neuinfektionen verzeichnet. Immer mehr Covid-19 Patienten liegen auf der Intensivstation – Das ist ein seit Monaten andauernder Kraftakt für die Ärztinnen und Ärzte – vor allem aber für das Pflegepersonal. Ihnen gilt unser ganzer Dank!
Aber Ihnen sind wir auch zu Unterstützung verpflichtet, meine Damen und Herren. Ja, wir haben in Berlin weniger Infektionsgeschehen als viele bayerische oder sächsische Landkreise. Zur Wahrheit gehört auch: Wir sind meilenweit davon entfernt, die Inzidenz endlich wieder deutlich unter 50 zu drücken. Aber genau da müssen wir hin, meine Damen und Herren!
Sehr geehrte Damen und Herren,
ja: der vordringlichste Schutz für alle vulnerablen Gruppen sind niedrige Infektionszahlen. Deshalb beschäftigt mich schon lange die Frage, wie Weihnachten in Corona-Zeiten gefeiert werden kann. Denn gerade hier, im Privaten sind wir alle darauf angewiesen, dass wir einen Konsens über die Regeln haben und sie eingehalten werden. Ich finde es weiter richtig, dass Berlin von Anfang an keine Weihnachtsausnahme mit mehr als fünf Personen gemacht hat. Es wurde früh kommuniziert, damit sich alle Berliner*innen darauf einstellen können. Ich höre jetzt von vielen, dass sie sich acht Tage vor Weihnachten in Selbstquarantäne begeben wollen, um auf Nummer sicher zu gehen, wenn sie zum Fest noch die alleinstehende Freundin oder den Opa dazuladen. Das heißt dann Homeoffice für alle und die Option der freiwilligen Selbstisolation auch für Schülerinnen und Schüler ab dem 16.12. Wenn das der Weg ist, der zur Akzeptanz der Coronaregeln führt, dann lasst ihn uns gehen.
Aber lassen Sie uns nicht nur auf Weihnachten schauen, sondern auch auf das, was danach passiert: Die Ministerpräsidentenkonferenz wird den Menschen nicht verbieten, zu Weihnachten quer durchs Land zu fahren. Und es werden nicht alle vorher die Selbstquarantäne einhalten. Auch wenn es vernünftig wäre. Die Gefahr ist groß, dass die Neuinfektionen sprunghaft ansteigen werden. Denn wenn die Pandemie eines gezeigt hat, dann, dass nach allen Ferien die Zahlen hochgegangen sind. Hier müssen wir durch kollektive Kontaktreduzierung einen Damm aufbauen. Lasst uns aus der ersten Welle die Solidarität nehmen und 14 Tage das Virus zu Hause in Berlin aussitzen. Dann haben wir eine Chance auf „Flatten the Curve“.
Und das heißt auch, dass die große und die kleine Silvesterparty in diesem Jahr ausfällt, ja, ausfallen muss. Denn meine Damen und Herren, unsere Pflegekräfte und Ärzt*innen sind am Limit. Und diese Pandemie ist noch lange nicht vorbei. Deshalb erwarte ich von der Innenministerkonferenz, die heute tagt, dass sie endlich das überfällige Verkaufsverbot von Feuerwerk und ein Böllerverbot beschließen. Das sind wir den Menschen, die in den Rettungsstellen und in den Krankenhäusern arbeiten, schuldig.
Wenn es um Verantwortung geht, macht eine Zahl dies mehr als deutlich: 88 Prozent der an Covid-19 verstorbenen Berlinerinnen und Berliner waren über 70 Jahre alt. Die Infektionen in den Pflegeeinrichtungen steigen exponentiell. Deshalb sage ich hier ganz deutlich: Wenn wir nicht noch konsequenter handeln, sterben immer mehr ältere Menschen. Das dürfen wir nicht zulassen. Das MUSS uns ein Auftrag sein, meine Damen und Herren.
Ich sehe hier fünf zentrale Punkte:
1. Alle Menschen in der Pflege – von den Bewohner*innen über das Pflegepersonal bis zu den Besucher*innen müssen noch regelmäßiger auf das Virus getestet werden. Da müssen wir mit den Schnelltest in die Breite gehen.
2. Wir brauchen kostenfreie FFP2-Masken für alle in der Pflege, auch für pflegende Angehörige.
3. Alle Pflegeeinrichtungen und -dienste müssen noch regelmäßiger und systematischer auf die Einhaltung der Hygienevorschriften kontrolliert werden, insbesondere durch die Heimaufsicht.
4. Es braucht eine bezirksübergreifende Strategie mit einer schnellen Einsatztruppe für den Umgang mit Ausbrüchen in Pflegeheimen.
5. Bei Bedarf muss eine räumliche Entzerrung von infizierten und nicht-infizierten Bewohner*innen von Pflegeheimen, zum Beispiel in Hotels, erfolgen.
An allen diesen Punkten ist der Senat dran. Aber wir müssen hier noch schneller und noch besser werden. Es ist unsere Verantwortung als Politik, die Pflegebedürftigen in unserer Stadt besonders zu schützen!
Und ja, der umfassende Lockdown hat wie jede Medizin Risiken und Nebenwirkungen. Die müssen wir politisch abfedern. Deshalb müssen sie in den Blick genommen werden.
Auch der Nach-Weihnachts-Lockdown stellt viele Familien vor große Herausforderungen: Denn nur weil die Ferien bis zum 8. Januar dauern, heißt das nicht, dass Arbeitgeber auf ihre Mitarbeitenden mit Kindern verzichten werden. Wir dürfen diese Lasten aber nicht auf den Schultern der Eltern und Kinder lassen, sondern müssen mit dem Corona-Elterngeld und flexiblen Arbeitszeiten für Unterstützung sorgen. Homeoffice und Homeschooling ist einfach nicht vereinbar.
Ein Lockdown bringt viel Einsamkeit mit sich und Berlin ist die Stadt der Singles. Auch viele Ältere leben schon lange in einer Selbstisolation, die einsam macht. Hier gilt: Auch wer allein ist, ist nicht vergessen. Lasst uns hier alle mit Abstand Kontakt halten.
Auch ohne Lockdown sind die Weihnachtstage Tage, an denen Gewalt in der Familie einen traurigen Rekord erfährt. Im Coronamärz ist die Zahl von gewalttätigen Übergriffen drastisch gestiegen. Deshalb braucht es bei einem umfassenden Lockdown schnellen Schutz und Zufluchtsmöglichkeiten für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder.
Ein umfassender Lockdown bedeutet für die Wirtschaft erneute Einbußen. Ich bin froh, dass unsere Wirtschaftssenatorin bereits in den letzten Monaten mit Soforthilfen schnell reagiert hat – seien es Hilfen für den Mittelstand oder unbürokratische Mietzuschüsse. Auch jetzt kämpft sie dafür, dass der Bund die Novemberhilfen endlich auszahlt. Vielen Dank!
Es gibt auch Silberstreifen am Horizont: Das eine sind umfassende Kapazitäten für selbst durchgeführte Schnelltests, die wir noch viel gezielter einsetzen müssen. Bei den Schulen geht das jetzt und das ist sehr wichtig für die Zeit nach den Ferien. Aber mein Ziel ist, dass wir flächendeckend zu Massentests kommen. Lasst uns die wissenschaftlichen Errungenschaften nutzen, die wir haben, um die Pandemie zu bekämpfen!
Das andere ist die Impfung, die in greifbare Nähe rückt. In Großbritannien wurde gerade die erste Person gegen Covid-19 geimpft: Die Bilder der 90-jährigen Margaret Keenan im Pinguin-T-Shirt gingen um die Welt und sie machen Hoffnung! Hoffnung – eine nicht zu unterschätzende Währung in dieser Pandemie, aber ich spüre sie regelmäßig, wenn ich mit über 80-Jährigen telefoniere, die auf den Impfstart hinfiebern. Diese Hoffnung gibt auch mir Kraft. Und die Tatsache, dass es ein Riesenerfolg der Wissenschaft ist, dass wir rund 12 Monate nach Bekanntwerden des Corona-Virus schon einen Impfstoff haben. Hier gilt der große Dank den Forscherinnen und Forschern.
Sehr geehrte Damen und Herren, eine Pandemie wie Corona bekämpft nicht jeder für sich. Das Virus können wir nur gemeinsam als Gesellschaft und mit größter Entschlossenheit eindämmen. Es ist ein riesiger Akt der Solidarität, den wir uns abverlangen. Deshalb sind wir alle gefragt in Berlin zu bleiben, Abstand zu halten und ein sehr kleines Weihnachten zu feiern.
Lassen Sie uns gemeinsam diese Kraftanstrengung angehen, damit der Weihnachtslockdown Wirkung zeigt. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass die Infektions- und Todeszahlen endlich sinken. Und bleiben Sie gesund!