Auf einen Kaffee mit… Stefanie Remlinger
Stefanie Remlinger, haushaltspolitische Sprecherin, über Joggen vor dem Frühstück, das politische Haifischbecken und ihren Einsatz für Inklusion und gegen Stigmatisierung
Du hast früher Volleyball, Tennis und Fußball gespielt. Kommst du heute noch zu einer dieser Sportarten?
Das ist leider Vergangenheit. Das war für mich sehr prägend. Ich wollte eigentlich Leistungsturnerin werden, durfte das aber nicht. Im Nachhinein hat sich das als vernünftig erwiesen. Zu meinem jetzigen Lebensstil als Politikerin passt kein Mannschaftssport mehr, weil ich aufgrund meiner vielen Abendveranstaltungen nicht mehr in der Lage bin, regelmäßig die entsprechenden Termine einzuhalten. Deswegen haben ich umgedacht und mache jetzt etwas von dem ich nie gedacht hätte, dass ich es mal betreibe: ich gehe zweimal die Woche vor dem Frühstück ins Fitnessstudio und am Wochenende jogge ich. Das sind Dinge, die meiner Natur als Spätaufsteherin und Teamplayerin entgegenstehen. Es sind aber die einzigen Dinge, die man zu jeder Tages- und Nachtzeit machen kann.
Erfährst du als Politikerin genügend Wertschätzung deiner Arbeit? Auch im Vergleich zu deinen früheren Tätigkeiten als Dozentin oder Lektorin?
„Die Politik“ als Plural erfährt tatsächlich wenig Wertschätzung. Es ist oft eine Art Seelenmüllabladeplatz der Gesellschaft. Anderseits denke ich, dass wir Grünen noch am meisten Wertschätzung erfahren. Wir werden am glaubwürdigsten und realistischsten eingeschätzt. Im Vergleich zu meinen vorher ausgeübten Berufen ist es schon so, dass die Politik und das, was wir tun, mehr Menschen interessiert und relevanter ist. Bei einem guten Vortrag freut man sich auch über positive Rückmeldungen der Zuhörerinnen und Zuhörer. In der Politik wird man zwar teilweise sehr beschimpft, aber die Wertschätzung von direkt betroffenen Menschen ist eben auch eine intensivere als in anderen Berufen.
Ist die Politik das von dir erwartete Haifischbecken?
Das Wort Haifischbecken habe ich erst benutzt, als ich bereits in der Politik war. Ich habe mich früher zunächst nicht in die Politik getraut, weil ich mir unsicher war, was die Folgen für meinen Charakter seien könnten. Ich hatte mich selbst im Verdacht, als Siebzehnjährige zu absolut und selbstgewiss zu sein. Mit Anfang Dreißig in die Politik einzusteigen halte ich für das beste Alter. Als Person bin ich gefestigter und weiß, dass man nicht immer Recht haben kann und das Leben immer Überraschungen und Umwege beinhaltet. Ich hatte viel Glück im Leben und wollte etwas davon zurückgeben und meine eigene potenzielle Deformation hat mich dann nicht mehr so verschreckt. Die Politik ist ein Haifischbecken, aber der Job ist trotzdem großartig und meine Berufung. Da muss man auch mal ein bisschen Streit aushalten.
Du sagst, dass du schon früh gerne und häufig debattiert hast. Welche Themen regen dich zurzeit besonders auf?
Da lässt sich der Bogen vom Abendbrottisch, an dem ich mit meiner Familie debattierte, bis heute ziehen. Mich regt das Verhalten mancher Führungskräfte und Politikerinnen und Politiker auf. Solche Personen haben eine symbolische Strahlkraft und sie können Werte setzen. Jenseits aller fachpolitischen Leidenschaft regt mich da z.B. Klaus Wowereit auf, der mit seiner Larmoyanz und Ignoranz die Steueraffäre seines Staatssekretärs weglächelt. Bei Wowereit geht es nur um Macht als Selbstzweck. Er findet sich durch solche Skandale noch toller, weil ihm keiner etwas kann. Aber er schadet damit dem Ansehen Berlins und hinterlässt einen Schaden in der Gesellschaft. Führungskräfte sollten Anstand und Vorbildlichkeit repräsentieren. Andernfalls braucht es eine gesunde Kultur des Rücktritts, in der jedeR weiß, wann man gehen sollte.
Du bist bildungspolitische Sprecherin (Anm. d. Red.: bis 2016). Welche Herausforderungen stellen sich zurzeit in Berlin im Bildungsbereich?
Ich habe zwei mittel- und langfristige Ziellinien, auf die ich beharrlich hinarbeite. Zum einen die Inklusion als gravierende Umstellung des Bildungssystems. Es ist nicht nur aus sozialer Sicht sinnvoll, behinderte Kinder mit anderen Kindern zu unterrichten. Durch Unterschiedlichkeit und Individualität von Schülerinnen und Schülern entsteht eine Vielfalt, aus der Stärke entwickelt werden kann. Inklusion ist eine Qualitätsverbesserung des Unterrichts, durch die alle profitieren können. Das darf nicht ideologisch aufgeladen sein oder überhastet passieren. Die betroffenen Lehrerinnen und Lehrer sollten Zeit haben, sich über bereits laufende Modelle zu informieren. Die zweite große Herausforderung für Berlin ist es, Stigmatisierungen aufzubrechen. Das betrifft sowohl Kinder aus Migrationsfamilien als auch Kinder aus einkommensschwachen Familien, von denen nicht automatisch gesagt werden darf, sie seien leistungsschwach. Oft sind es sich selbst reproduzierende Mechanismen, die dazu führen, dass man ihnen nichts zutraut. Nur weil sie vielleicht eine Deutschförderung brauchen, heißt das noch lange nicht, dass sie schlecht in Naturwissenschaften sind. Aus diesem Teufelskreis müssen wir uns befreien.
Das Interview führte Marc Siepe.