Beschluss: Für eine gute Pflege in der Corona-Krise
Menschen in der Pflege sind von der Corona-Krise in besonderem Maße betroffen. Dies betrifft sowohl diejenigen, die auf Pflege angewiesen sind, als auch Pflegefachkräfte und Menschen, die Angehörige pflegen. Sowohl in der professionellen Pflege als auch in der Pflege durch Angehörige sind langfristige strukturelle Reformen dringend notwendig und überfällig. Dieser Bedarf wird durch die Corona-Krise noch verstärkt. Hier werden kurzfristige Antworten auf die durch die Pandemie entstandenen Problemlagen und Bedarfe benötigt. Menschen mit Pflegebedarf und Pflegende müssen besonders geschützt werden und es muss Sorge für die langfristige Gesundheit unter den notwendigen Schutzmaßnahmen getragen werden.
Die negativen Folgen von Maßnahmen zum Schutz besonders vulnerabler Bevölkerungsgruppen oder durch Ausnahmeregelungen zur Sicherstellung der pflegerischen Versorgung müssen bedacht und sorgfältig gegen ihren Nutzen abgewogen werden. Die Senatsverwaltung ist gefordert, Muster-Pandemiepläne bereitzustellen und verbindliche Vorgaben auf Basis der Empfehlungen des Robert Koch-Instituts (RKI) für die ambulante und stationäre Pflege zu erstellen, unter anderem eine systematische, klare und abgestufte Teststrategie für Personal wie Pflegebedürftige. Im Falle von Infektionen hat eine Erhebung sozioökonomischer Daten von Erkrankten zu erfolgen. Barrieren in der Informationsvermittlung müssen durch eine mehrsprachige Hotline der Senatsverwaltung abgebaut werden.
Ohne die grundlegend notwendigen Veränderungen von Arbeitsbedingungen in der Pflege aus dem Blick zu verlieren, fordern wir folgende kurzfristige Maßnahmen zum Schutz von Menschen mit Pflegebedarf und zur Unterstützung der pflegenden Angehörigen und der professionell Pflegenden:
Menschen, die auf Pflege angewiesen sind
- Einbeziehung der Pflegebedürftigen bei den sie betreffenden Entscheidungen, dazu gehört insbesondere die Kosten-Nutzen-Abwägung von Schutzmaßnahmen (Infektionsschutz vs. soziale Isolation), z.B. das Besuchsmanagement in Einrichtungen.
- Für den Fall einer Erkrankung ist der Wille der Patient*innen zu ermitteln und durchzusetzen. Vorsorge- und Patientenverfügungen sollten möglichst aktualisiert oder – wenn nicht vorhanden – erstellt werden. Hierzu bedarf es ergebnisoffener Beratung im Vorfeld akuter Situationen. Dies ist auch unabhängig von der Corona-Krise notwendig, aber jetzt gibt es einen Anlass, Verfügungen zu aktualisieren. Auch im Rahmen der Angehörigenarbeit sollte das thematisiert werden.
- Unterstützung von Einrichtungen (oder WGs) bei der Bereitstellung von Wlan und Tablets zur Pflege der sozialen Kontakte und Erstellung eines Konzeptes, wie auch die angekündigte Tracing-App für Pflegebedürftige und deren Angehörige handhabbar gemacht werden kann.
- Entwicklung eines Behandlungsmanagements in der Pflege auf Grundlage der RKI-Empfehlungen; dabei muss die ärztliche, pflegerische und therapeutische Versorgung in Pflegeeinrichtungen sichergestellt und auch palliative Versorgung und Sterbebegleitung insb. durch Angehörige ermöglicht werden.
- Sicherstellung einer menschenwürdigen Notpflege für Menschen, deren häusliche Pflege pandemiebedingt nicht mehr aufrechterhalten werden kann.
Beschäftigte in der Pflege
- Der Corona-Bonus als Anerkennung für besondere Leistungen in der Krise muss der Anfang für strukturelle Verbesserungen für die Beschäftigten sein. Es bedarf Verbesserungen auf allen Ebenen, die den Pflegeberuf attraktiv für Neu- und Wiedereinsteiger*innen machen; darunter Arbeitsflexibilisierung, gute Kinderbetreuungskonzepte, Einführung und Finanzierung technischer Hilfsmittel und Innovationen sowie langfristige Anerkennung und Wertschätzung der Pflege durch angemessene Bezahlung und flächendeckende Tarifverträge mit einem deutlich angehobenen Einstiegsgehalt.
- Arbeitsschutz und Entlastung in der Pflege sicherstellen – durch zur Verfügung stellen von ausreichend persönlicher Schutzkleidung, Wiedereinsetzen von Personaluntergrenzen, zuverlässige Dienstzeiten und ausreichend Pausen- und Erholungszeiten sowie Zugang zu psychologischen Unterstützungsangeboten.
- Infektionsschutz des Personals durch eine systematische abgestufte Teststrategie.
- Unterstützung der Anbieter/Träger/Einrichtungen bei der Beschaffung von pandemiebedingt erhöhtem Bedarf von Schutzausrüstung.
- Übertragung von mehr Verantwortung für die Pflege, insb. die Übernahme heilkundlicher Tätigkeiten durch professionelles Pflegepersonal.
Pflegende Angehörige
- Stärkere Entlastung pflegender Angehöriger durch Ausweitung von Hilfsangeboten mit Unterstützung der Senatsverwaltung.
- Unterstützung auf Bundesebene: Bereitstellung von aktuell freiwerdenden Geldern aus der Pflegeversicherung als Pflegebudget, durch das z.B. nachbarschaftliche Hilfen finanziert werden können sowie Unterstützung pflegender Angehöriger beim Ausfall von externer Pflege – vergleichbar mit der Unterstützung von Eltern beim Wegfall der Kinderbetreuung, Flexibilisierung und Erhöhung von Entlastungsbetrag und Pflegehilfsmittelpauschale.
- Einbeziehung der pflegenden Angehörigen in die Teststrategie.
- Bereitstellung von Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln.
- Besondere Unterstützung für Familien mit pflegebedürftigen Kindern, z.B. durch Unterstützung von Betreuung und Homeschooling von Geschwisterkindern.
Krise als Chance
- Pflege hat mehr verdient als Applaus und einen Bonus: Die aktuelle Aufmerksamkeit für den systemrelevanten Pflegeberuf nutzen und endlich faire Arbeitsbedingungen und Bezahlung durchsetzen und die Gründung einer Berliner Pflegekammer voranbringen.
- Digitalisierung der Pflegedokumentation und –abrechnung.
- Umsetzung von Konzepten wie Community Health Nursing.
- Vorantreiben der Akademisierung der Pflege und Pflegeforschung und konkretes Schaffen von Studienplätzen an staatlichen Hochschulen.
- Unterstützung der Etablierung der Bundespflegekammer, Vernetzung der Pflege, Mitspracherecht der Pflege in den Entscheidungsgremien des Gesundheitswesens.