Ein neues Berliner Versammlungsfreiheitsgesetz: So stärken wir das Recht auf friedliche Demonstrationen
Mit dem Entwurf für ein Berliner Versammlungsfreiheitsgesetz (DS 18/2764) wollen die Koalitionsfraktionen das geltende Versammlungsgesetz aus dem Jahr 1978 ablösen und ein weiteres Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umsetzen. Denn die Versammlungsfreiheit ist für die Koalition eine Bedingung für die Demokratie und muss geschützt werden. Wichtig ist uns, dass Versammlungsteilnehmer*innen nicht unter Generalverdacht stehen.
Das neue Berliner Versammlungsfreiheitsgesetz soll als deutschlandweites Vorbild für ein demokratieförderndes und grundrechtsbezogenes Versammlungsrecht dienen. Die Koalition stand vor der Aufgabe, die Freiheitsrechte zu stärken und den besonderen Herausforderungen Berlins als Hauptstadt und Metropole gerecht zu werden, in der es jährlich mehr als 5000 weitestgehend friedliche Demonstrationen gibt.
Das Gesetz stellt die Balance her zwischen einer grundrechtsfreundlichen Ausgestaltung des Versammlungsrechts und den notwendigen Sicherheitsmaßnahmen. Es berücksichtigt dabei die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Verwaltungsgerichtsbarkeit etwa zu verhältnismäßigen Beschränkungen und Auflagen, zum Recht auf Gegendemonstration in Hör- und Sichtweite oder zu Versammlungen auf in Privateigentum stehenden Verkehrs- und Kommunikationsflächen.
Dies sind die wesentlichen Inhalte des Gesetzes
- Der Schutz des Versammlungsgrundrechtes gilt künftig bereits bei Versammlungen von zwei Personen (§ 2).
- Das Recht auf ungehinderten Zugang zu Versammlungen, auf freie Berichterstattung durch die Medien sowie auf Gegendemonstrationen wird gesetzlich geregelt. Letztere sollen in Hör-und Sichtweite genehmigt werden, soweit es die örtlichen Gegebenheiten hergeben (§ 3).
- Bundesweit einmalig wird das in Berlin seit Jahren erfolgreich praktizierte Deeskalationsgebot für die Polizei gesetzlich verankert. Das historisch überkommenen Schutzgut der „öffentlichen Ordnung“ wird abgeschafft (§ 3).
- Die Behörde bietet den Veranstalter*innen verpflichtend ein Kooperationsgespräch auf Augenhöhe an, um rechtzeitig Gefahrenlagen und die ungestörte Durchführung zu erörtern (§ 4).
- Keine Pflicht zu Bestimmung einer Versammlungsleitung mehr (gemäß Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (§ 6)).
- Das Waffen- und Uniformverbot tritt nur noch nach vorheriger behördlicher Anordnung und nur für die in der Anordnung bezeichneten Gegenstände in Kraft (§ 9).
- Wenn Polizeikräfte auf Versammlungen anwesend sind, haben sie sich zu erkennen zu geben (§ 11).
- Ort, Zeit, Thema und Streckenverlauf von Versammlungen werden unverzüglich auf dem Open Data Portal des Landes veröffentlicht (§12).
- Keine behördlichen Erlaubnisse für Versammlungen mehr erforderlich, die sich auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsflächen beziehen (§ 13).
- Versammlungen sind auf privaten Verkehrsflächen von beherrschten Unternehmen und in der Regel auch auf Privatstraßen zuzulassen (Umsetzung der Fraport-Entscheidung des BVerfG)
- Bundesweit wird erstmalig gemäß Art. 30 der Verfassung von Berlin die Verbotsmöglichkeit von volksverhetzenden Versammlungen geregelt, wenn dort gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Aufstachelung zu Hass oder Gewalttaten stattfindet, sowie von Versammlungen, die die NS-Gewalt- und Willkürherrschaft verherrlichen oder deren führende Repräsentanten. Rechtsgrundlage auch für erleichterte Auflagen an bestimmten Orten und Tagen, soweit diese im genannten Kontext stehen (§ 14).
- Reduktion der Bannmeile: Diese gilt in einem deutlich eingeschränkten Bereich (Befriedeter Bezirk) von der Stresemann- bis zur Wilhelmstraße. Anders als bisher muss ein Demonstrationsverbot aktiv durch den Präsidenten des AGH ausgesprochen werden (Anordnungsvorbehalt, § 15).
- Identitätsfeststellungen sind ohne unverhältnismäßige Behinderung oder wesentliche zeitliche Verzögerung der Teilnahme durchzuführen (§ 17).
- Nur noch offenes Filmen zur Gefahrenabwehr durch die Polizei bei kurzer Speicherfrist erlaubt (§ 18).
- Herabstufung einiger Straftaten auf Ordnungswidrigkeiten. Im Rahmen des Vermummungsverbotes wird nur noch auf das „Verwenden“ statt auf das „mit sich führen“ abgestellt. Außerdem muss die Behörde zur Durchsetzung des Verbotes erst Anordnungen treffen, (sog. Verwaltungsakzessorietät, § 19, §§ 26,27).
- Es werden präzise Eingriffsbefugnisse bei Gefahr der Störung durch Aufstachelung, Verächtlichmachung, Gewaltaufforderung u.ä. unterhalb des Schutzguts „öffentliche Sicherheit“ geschaffen (§ 14).
- Neu ist die Strafbewehrung auch bei „Androhung von Straftaten“ („hate speech“, § 29).
Wie geht es weiter?
Nach der Sommerpause wird das Gesetz in erster Lesung im Abgeordnetenhaus beraten. Danach folgt die Beratung im Innenausschuss. Dort werden Expert*innen und Wissenschaftler*innen zum Entwurf angehört. Eine Verabschiedung des Gesetzes ist dann für Ende des Jahres geplant.
Über das Versammlungsfreiheitsgesetz diskutieren wir mit unserer Fraktionsvorsitzenden Antje Kapek und unserem innenpolitischen Sprecher Benedikt Lux in der Veranstaltung Freiheit und Sicherheit Hand in Hand? Antje Kapek und Bene Lux im Gespräch zum Freiheitsrechtestärkungspaket am 08.06.2020 um 19:00 Uhr.