Grüne Europawochen: Viele Wege führen nach Wien – Was uns Österreich lehrt
Der Brexit macht in diesen Tagen wieder deutlich wie uns Nationalismus und Europafeindlichkeit in eine große Unsicherheit stürzen. Auch in Italien werden die Rechten mit ihren europafeindlichen Positionen lauter. Wir Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus verstehen uns als Gegenpol dazu. Aus diesem Grund rufen wir im April und Mai unsere grünen Europawochen ins Leben. Unter dem Motto “Wir für Europa” zeigen wir Landespolitiker*innen Flagge für eine klar proeuropäische Haltung. Katrin Schmidberger zeigt am Beispiel von Österreich, dass Mieten und Wohnen das zentrale sozialpolitische Thema in Europas Städten und wachsenden Metropolen ist. Kann das „Wiener Modell“ Vorbild für Berlin sein?
Immer mehr Menschen haben Schwierigkeiten, ihre Mieten zu bezahlen oder überhaupt eine Wohnung zu finden. Steigende Mieten und der daraus resultierende Mangel an bezahlbarem Wohnraum gefährden nicht nur in Berlin den sozialen Frieden, sondern auch in vielen europäischen Städten.
Obwohl wir mit dem Dreiklang Neubau, Ankauf/Rekommunalisierung und Bestandsschutz fast alle möglichen Instrumente nutzen, um den Mietenanstieg in Berlin zu bremsen, laufen wir nach wie vor einer Entwicklung hinterher. Auch gerade, weil das Bundesmietrecht so viel Spekulation zulässt. Immer häufiger richtet sich der Blick nun nach Wien, wo noch immer ein großer Teil der Wohnungen auch für Geringverdiener*innen erschwinglich ist und auch der Anstieg der Mietpreise im Vergleich zu anderen Großstädten gering ist. Was also macht Wien anders?
Eine ganze Menge! Das sogenannte „Wiener Modell“ ist dabei das Ergebnis unterschiedlicher Maßnahmen. Seinen Ursprung hat es in der Zeit des „Roten Wiens“ in den 1920er und frühen 1930er Jahre, als die Stadt im großen Stil Wohnungen errichten ließ. Wien profitiert heute unter anderem davon, diese kommunalen Wohnungen zum größten Teil nicht privatisiert zu haben. So ist ein Viertel der Wohnungen in Wien noch immer im Besitz der Stadt, die somit in der Lage ist, die Mieten auf einem bezahlbaren Niveau zu halten. Rechnet man zu diesen sogenannten „Gemeindewohnungen“ noch die geförderten Wohnungen der Gemeinnützigen Bauvereinigungen hinzu, die einer dauerhaften Mietpreisbindung unterliegen, ist über die Hälfte der Wohnungen in Wien in gemeinwohlorientierter Hand und damit leistbar für alle.
Dies ist auch möglich, da in Österreich weiterhin die Wohngemeinnützigkeit besteht – im Gegensatz zu Deutschland, wo sie 1990 unter der Kohl-Regierung abgeschafft wurde. Wohnungsunternehmen und Bauvereinigungen, die als gemeinnützig anerkannt sind, erhalten Steuervorteile und einen leichteren Zugang zu Fördermitteln für den Wohnungsbau und verpflichten sich im Gegenzug unter anderem, die Mieten in ihren Wohnungen unter einer festgelegten Grenze zu halten. Diese Mietpreisbindung bleibt auch nach Rückzahlung der Fördermittel bestehen, deutliche Mieterhöhungen werden so dauerhaft verhindert.
Doch Wien profitiert nicht nur von klugen Entscheidungen der Vergangenheit, sondern schreckt auch heute nicht vor entschiedenen Schritten zurück. Im März 2019 etwa trat eine Änderung der Bauordnung in Kraft. Diese sieht vor, dass bei größeren Neubauprojekten mindestens zwei Drittel der Baufläche für den geförderten sozialen Wohnungsbau vorgeschrieben sind. So will die Stadt sicherstellen, dass auch weiterhin fast 60 Prozent der Wiener*innen in den Genuss einer Gemeinde- oder geförderten Wohnung kommen.
Diese Zahl mag auf den ersten Blick verwundern, doch in Wien ist der soziale Wohnungsbau nicht ausschließlich für die einkommensschwächsten Bevölkerungsgruppen vorgesehen, sondern steht durch hohe Einkommensgrenzen auch großen Teilen der Mittelschicht offen. Das Ergebnis ist eine stärkere Mischung sozialer Schichten, die von den Wiener*innen so auch explizit gewollt ist. Und während in vielen anderen Städten zunehmend auch die Mittelschicht in Schwierigkeiten gerät, eine bezahlbare Wohnung zu finden, bleibt in Wien die Versorgungslage für den Großteil der Bevölkerung gut.
Natürlich können diese Regelungen nicht einfach mal so auf Berlin oder andere Städten übertragen werden, eben weil wir in Deutschland keine Wohngemeinnützigkeit haben – jedoch hat die grüne Bundestagsfraktion einen Vorschlag für eine neue Wohngemeinnützigkeit in den Bundestag eingebracht. Und auch gibt es mit den Landeseigenen Wohnungsunternehmen durchaus die Möglichkeit, Elemente aus der Wohngemeinnützigkeit, wie vor allem längere Bindungszeiten, zu übernehmen oder auch mit den Genossenschaften und gemeinwohlorientierten Bauträgern ein Bündnis in diese Richtung zu schließen. Durch die Anwendung des Vorkaufsrechts, die Ausweitung des Milieuschutzes sowie durch den gezielten Ankauf von ehemals privatisierten Wohnungsbeständen bauen wir den Bestand an gemeinwohlorientiertem Wohnraum am Wohnungsmarkt aus. Denn viele Wege führen nach Wien.
Zudem sind in Wien die öffentlichen Ausgaben in der Wohnungspolitik wesentlich höher als in den meisten deutschen Städten. Die Wienerinnen und Wiener jedoch danken es der Stadt und die Lebensqualität in Wien zählt seit Jahren zu den höchsten in der Welt.
Was Wien uns also vor allem lehrt, ist, wie erfolgreich eine Politik sein kann, die sich den Privatisierungs- und Deregulierungstendenzen widersetzt und die Bedürfnisse seiner Bewohner*innen in den Vordergrund stellt. Davon können wir in Berlin eine Menge lernen.
Für ein EU-weites Recht auf Wohnen!
Ein europaweite Bürger*innen-Initiative sammelt seit Kurzem Unterschriften für eine Petition an die EU, die aufgefordert wird, Wohnungspolitik endlich europaweit anzugehen und ein Wohnen für Alle zu ermöglichen. Wir Grüne unterstützen das und fordern alle auf, hier zu unterschreiben:
https://www.housingforall.eu/de/unterstuetzen-sie-die-kampagneund-unterzeichnen-sie-die-petition-de/