Meine 18.316.800 Sekunden als Freiwillige bei der Grünen-Fraktion (Abschlussbericht 2015)
Sieben Monate Freiwilligendienst resultieren in vier Grundessenzen, die ich aus meinen unzähligen Erfahrungen, Erlebnissen und Begegnungen ziehen konnte:
- Transparenz
- Mut zur Veränderung
- Selbstbewusstsein und Emanzipation
- Vielfältigkeit
Diese vier Werte, Phänomene, Handlungsgrundlagen oder wie auch immer man sie betiteln möchte, haben sich für mich als die vier wichtigsten Pfeiler der politischen Arbeit herauskristallisiert. Ebendiese möchte ich nun nach Abschluss meines Freiwilligen Sozialen Jahres im politischen Leben in die Welt hinaustragen und auf meinen weiteren Lebensweg stetig fortentwickeln. Um einen kleinen Einblick darin zu bekommen, wie ich zu diesem Entschluss gelangt bin, möchte ich nun von meinen Erfahrungen im FSJ-P in der grünen Abgeordnetenhausfraktion berichten.
Let’s talk about the green idea
Vor nahezu einem Jahr habe ich mich dazu entschieden, mein Freiwilliges Soziales Jahr im politischen Leben in der grünen Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin zu absolvieren. Keine andere Einsatzstelle bot in diesem Rahmen eine größere Bandbreite an Stationen, Tätigkeiten und Einblicken, was ich nun aus der Retrospektive solchermaßen bestätigen kann.
Bereits bei meinem ersten Kontakt mit der Fraktion, in Form meines Bewerbungsgespräches mit Fraktionsgeschäftsführerin Catherina Pieroth, fühlte ich mich ernst- und wahrgenommen, was nicht zuletzt auch darauf fußt, dass sich alle beim Vornamen nennen und keine Hierarchisierung durch Formalia stattfindet.
Meine Zeit bei den Grünen war dergestalt strukturiert, dass ich jeweils drei Monate bei zwei Abgeordneten, Clara Herrmann und Stefanie Remlinger, sowie einen Monat in der Pressestelle stationiert war. Die Auswahl der beteiligten Abgeordneten erfolgte durch die während meines Bewerbungsgespräches manifest gewordenen Schwerpunkte meines politischen Interesses.
Hereinspaziert
So begann also am 1. September 2014 mein Freiwilliges Soziales Jahr im politischen Leben. Ich weiß heute noch genau, wie ich mich gefühlt habe, als ich nach dem Bewerbungsverfahren mit langen Phasen des Wartens und Hoffens an meinem ersten Arbeitstag endlich die Schwelle des Abgeordnetenhauses überschritt: Ich war aufgeregt, voller Enthusiasmus und Neugierde und natürlich auch ein wenig unsicher darüber, was mich wohl erwarten und wie ich mich in diesem Jahr entwickeln würde. Im Nachfolgenden möchte ich Sie und Euch gerne an meinen persönlichen Erfahrungen, die ich in den nunmehr sieben Monaten sammeln konnte, teilhaben lassen.
Konfusion
Einer der entscheidenden Aspekte, die mich glücklich stimmen, das FSJ-P absolviert zu haben, ist der Abgleich meines theoretischen Wissens und meiner persönlichen Vorstellung, basierend auf Literatur, Zeitung und Gesprächen, mit der Realität – dem Tagesgeschehen, der politischen Praxis und der Nähe zu Verantwortung übernehmenden politischen Entscheidungsträgern.
Doch speziell in den ersten Tagen erschien mir die Komplexität der Abläufe und ineinander greifenden Vorgänge nahezu undurchschaubar. Vieles erscheint unverständlich, gar unglaublich – ich habe oft, und im Endeffekt zu oft, damit gehadert, zu akzeptieren, wie Politik auf parlamentarischer Ebene praktiziert wird.
Ich persönlich kann resümieren, dass mein politisches Denken für die Arbeit innerhalb eines parlamentarischen Systems vermutlich zu sehr von Ideologie, Illusion, vielleicht gar von Utopie, und enthusiastischem Tatendrang geprägt wäre. Um ein erfolgreiches und zufriedenstellendes FSJ-P in der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen absolvieren zu können, müssen meiner Einschätzung nach eine grundsätzliche Identifikation mit den Werten grüner Politik, großes Interesse an parlamentarischen Abläufen und eine grundsätzlich positive Einstellung gegenüber des vorherrschenden politischen Systems und dessen Akzeptanz vorhanden sein.
Gemeinsam für die grüne Idee
Durch die Betreuung durch eine_n Abgeordnete_n steht man als Freiwillige_r vorrangig mit dem/der Abgeordnete/n, für den/die man gerade arbeitet, sowie mit den zugehörigen Mitarbeiter_innen in Kontakt. Darüber hinaus finden regelmäßige Gespräche mit der Fraktionsgeschäftsführerin Catherina Pieroth, die die erste Ansprechpartnerin ist, statt. Eine Isolation findet dennoch nicht im geringsten statt: Durch eine allgemein vorherrschende locker-kollegiale Atmosphäre innerhalb der gesamten Fraktion auf und zwischen allen Ebenen fällt es leicht, neue Kontakte zu knüpfen und sich integriert zu fühlen.
Hinzu kommen regelmäßige Mitarbeiter_innenrunden, an denen ich auch teilnahm und so ein fester Bestandteil des Teams war. Schnell wird einem klar, dass hier jede und jeder einzelne zählt und wertgeschätzt wird – als ein Teil eines großen Mosaiks, das nur durch Vernetzung und Verknüpfung untereinander funktioniert und dessen Sinnhaftigkeit und Entfaltung sich erst im Gesamtgefüge ergeben.
Ordnen und Lernen
Mein Arbeitsalltag war stark durch die Tätigkeiten des/der Abgeordneten geprägt. Dies manifestierte sich nicht nur in der Schwerpunktsetzung auf inhaltlicher Ebene, sondern auch in der Gewichtung administrativer Aufgaben.
Während der ersten drei Monate meines FSJ-P, also an meiner ersten Station, gehörten klassische Büroarbeiten zu meinem Tagesgeschäft. Hinzu kamen inhaltliche Recherchen zur Vorbereitung von Terminen oder deren Nachbereitung, das Verfassen von Berichten und Einträgen für die Homepage, Vorbereitung von Ausschuss- und Plenarsitzungen durch Zusammenstellung der benötigten Dokumente und das eigenständige Erstellen einer Jahresbilanz.
Außerdem war ich viel unterwegs: Bei vielen anstehenden Veranstaltungen, seien es Podiumsdiskussionen, Konferenzen, Interviews oder ein Kinderfest, war ich vor Ort und in verschiedenem Grad in die Organisation eingebunden. In unregelmäßigen Abständen war ich auch im externen Wahlkreisbüro, wodurch ich viel Kontakt mit den persönlichen Mitarbeiterinnen meiner Abgeordneten hatte.
In meinem Monat in der Pressestelle begleitete ich parallel die Arbeit der Pressesprecherin – das heißt, ich erledigte dieselben Aufgaben, die dann im Anschluss abgeglichen wurden. In dieser Zeit lernte ich sehr viel über die alltäglichen Abläufe innerhalb der Fraktion und die Korrespondenz mit der Öffentlichkeit nebst ihrer Importanz. Auf diese Weise erhält man umfassende Einblicke und verschiedene Perspektiven, die für das politische Geschehen von Bedeutung sind.
Bei meiner dritten Station bekam ich eine dritte Perspektive aufgezeigt: Hierbei handelt es sich um jene der Referenten, mit denen ich in diesen drei Monaten eng zusammenarbeitete. Der Schwerpunkt hatte sich im Vergleich zu meiner ersten Abgeordnetenstation vom praktischen „Erleben“ hin zu parlamentarischen Abläufen verschoben. Inhaltliche Recherchen und Zuarbeiten nahmen mehr Platz ein, hinzu kam die Mitarbeit an Anträgen und Anfragen, bis hin zur eigenständigen Konzeptionierung.
Was aber allen meinen Stationen gemein war, ist die Gewährung großer persönlicher Freiheit, was die Arbeitseinteilung und -zeiten anbelangt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Spektrum an Aufgaben in der Fraktion sehr breit gefächert ist und Rücksicht auf die persönlichen Fähigkeiten und Interessen nimmt.
Ich möchte mich von Herzen bei allen Menschen bedanken, die mich auf dem Weg durch die Irrungen und Wirrungen der Berliner Landespolitik begleitet habe.