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Rede von Antje Kapek zu Tegel in der Plenarsitzung am 28. September 2017

Nahaufnahme des Flughafengebäudes vom Flughafen Tegel Foto: betexion/Pixabay_CC0

*** Es gilt das gesprochene Wort ***

Sehr geehrter Herr Präsident,
verehrte Damen und Herren,

Berlin ist eine hoch politisierte Stadt. Das hat die Tegel-Debatte bewiesen. Und das ist wichtig. Nach letztem Sonntag wichtiger denn je.

Wir wollen daher die Direkte Demokratie stärken. Das gilt nach wie vor. Denn die direkte Demokratie ist ein wertvolles Instrument der Zivilgesellschaft. Zumindest – solange damit kein Schindluder betrieben wird.

Tegel hat aber genau das gezeigt. Daher brauchen wir dringend eine Debatte über die Vermeidung von Missbrauch bei Volksentscheiden. Ich möchte diese gerne führen.

Denn klar bleibt: die Tegel-Debatte war und ist eine reine Phantomdiskussion. Schon allein, weil es am letzten Sonntag faktisch nichts zu entscheiden gab.

Es gab dann auch keine Gewinner. Und schaut man auf das Wahlergebnis vom Sonntag, dann ist das selbst die FDP nicht. Und ich frage mich ganz ehrlich, was wir in Berlin alles bereits hätten anpacken können, hätten wir nicht so aberwitzig viel Zeit und Energie in ein Thema  stecken müssen, das bereits seit Jahrzehnten geklärt ist.

Wir nehmen als Koalition das Votum der Berlinerinnen und Berliner natürlich dennoch ernst. Und wir werden alles unternehmen, um diesem Genüge zu tun. Raed Saleh und Udo Wolf haben dazu schon Einiges gesagt.

Aber zum ernst nehmen gehört auch Ehrlichkeit. Und die Wahrheit ist: Die Rechtslage ist heute keine andere als letzte Woche.

Ich hatte mir an dieser Stelle eigentlich vorgenommen, sehr nachdenklich mit Ihnen darüber zu sprechen, was die nächsten Schritte sein müssten.

Doch dann kam dieser Last Minute-Dringlichkeitsantrag der Opposition. Und aus nachdenk­lich wurde wütend. Denn ich finde es wirklich eine Frechheit, dass ein solcher Antrag erst NACH dem Volksentscheid kommt. Hätten Sie vor einem Jahr oder irgendwann VOR dem letzten Sonntag mal ihren großen Masterplan zu Papier gebracht, dann hätten wir uns wenigstens parlamentarisch damit auseinandersetzen und diesen sogar qualifizieren können.

Aber dann haben Sie nicht nur die Unverfrorenheit zu spät zu kommen, nein, sie legen auch einen Antrag vor, der erneut deutlich macht, dass Sie selbst überhaupt keinen Plan davon haben, wie eine Offenhaltung realisiert werden könnte. Statt konkret praktikabler Vorschläge, wie eine Offenhaltung Tegels funktionieren könnte, präsentieren Sie vier Tage NACH dem Volksentscheid eine Wunschliste an den Senat. Eine Wunschliste, die da heißt: “Wir wissen selbst nicht genau wie das laufen soll, aber das ist ja auch nicht unser Problem, soll sich mal schön der blöde Senat was überlegen.” Entschuldigen Sie bitte, aber bei so viel Populismus ist das Ergebnis vom letzten Sonntag echt keine Überraschung mehr. Traurig, meine Damen und Herren!

Aber gehen wir ihre Wunschliste mal durch.

Erstens: Wir sollen den Landesentwicklungsplan ändern, damit es keine Flughafenfestlegung mehr gibt. Haben Sie eigentlich mal darüber nachgedacht, was das konkret bedeutet?

Selbst wenn wir das tun würden, wäre mit ziemlicher Sicherheit davon auszugehen, dass Brandenburg diesem Super-Plan nicht zustimmen würde. Wir müssten dies also einseitig tun. Mit der Konsequenz, dass eine Kündigung auch erst in unglaublichen drei Jahren in Kraft treten würde.

Und nicht nur das: Am Landesentwicklungsplan hängt natürlich viel mehr als nur der Flughafen. Mit der Kündigung des Landesentwicklungsplans gibt man auch die komplette gemeinsame Bau-, Verkehrs- und Infrastrukturpolitik von Berlin und Brandenburg auf. Wir würden damit so viel politisches Porzellan zerschlagen – wir wären kein Elefant, wir wären Donald Trump im Porzellanladen. Das möchte ich nicht mit verantworten!

Aber sagen wir mal, wir machen das trotzdem. Dann können wir 2021 versuchen Ihren ersten Wunsch zu erfüllen. Den Widerruf widerrufen und die Entwidmungsverfügung entwidmen. Dann könnte der Weiterbetrieb Tegels also frühestens 2022 gesichert werden – und das ist jetzt sehr, sehr optimistisch gerechnet.

Das sind mindestens fünf Jahre. Fünf Jahre eines juristisch hochriskanten Hätte-Würde-Könnte, zu dem es noch nicht mal ein wasserfestes Rechtsgutachten gibt. Wahrscheinlich würde es aber eigentlich doppelt so lange dauern. Viele Jahre ohne Planungssicherheit, in denen Häuser an Wert verlieren, Bauprojekte platzen und die Zukunftspläne von Unternehmen in Schubladen einstauben. Dass ist Ihnen scheinbar egal. Ich finde das ist unverantwortlich.

Vielleicht hätten wir Sie, Herrn Czaja, doch zum Landesbeauftragten zur Umsetzung Ihres Volksentscheides machen sollen. Dann hätten Sie sich mal mit den Konsequenzen auseinandersetzen und vor allem die Verantwortung dafür tragen müssen.

Aber immerhin: Sie haben Lärmschutzmaßnahmen bei einem Weiterbetrieb als Problem erkannt. Kostenpunkt wären allerdings mindestens 400 Millionen bis zu einer Milliarde Euro mehr! Kosten, die nicht der Senat, sondern die Flughafengesellschaft tragen würde. Diese würden wir damit im Direktflug in den Bankrott stürzen. Dann hätten Sie zwar einen Flughafen, aber keinen Betreiber mehr. Na, herzlichen Glückwunsch, meine Damen und Herren!

So, und dann soll der Senat natürlich noch neue Flächen finden für die geplanten Nutzungen auf Tegel. Eigene Vorschläge: Kleingärten plattmachen, den Acker der Elisabeth-Aue? Den Rest soll sich der Senat aus der Rippe schneiden. Und woher nehmen? Vielleicht aus Brandenburg? Ach, geht ja nicht mehr. Die gemeinsame Landesplanung sollen wir ja aufkündigen.

Es sollte Ihnen doch auch klar sein, dass selbst wenn ich Flächen für 9.000 Wohnungen finde, ich nirgendwo in gleichem Maße 20.000 Jobs schaffen kann, es in Berlin keinen Ersatzstand­ort für die Feuerwehrakademie gibt, wir nirgendwo anders so einen großen Park schaffen können und es keine Chance gibt, die umliegenden Quartiere in vergleichbarer Form weiterzuentwickeln.

Liebe Opposition, ich kann verstehen, dass Sie viel Hoffnung in diesen Senat setzen. Das tun die Berlinerinnen und Berliner auch. Wir können vieles – aber eines können selbst wir nicht: zaubern!

Meine Oma hat immer gesagt: “Wünschen kann man sich alles.” Aber der Senat ist nicht der Weihnachtsmann. Wir machen Politik – keinen Hokuspokus.

Was Sie uns heute hier als Blaupause zur Offenhaltung Tegels verkaufen wollen, ist lediglich die Offenlegung Ihrer eigenen Ratlosigkeit. Sie wissen, dass es nicht möglich ist. An keiner einzigen Stelle schaffen Sie es, konkrete Vorschläge zur Umsetzung zu machen. Hätten Sie das vorher eingesehen, hätten wir uns den Volksentscheid und die heutige Debatte sparen können.

Ich habe deshalb einen Wunsch an Sie: Übernehmen Sie endlich Ihre Verantwortung als gewählte Abgeordnete und Vertreter dieser Stadt. Kontrollieren Sie die Regierung, treiben Sie uns an – aber verschwenden Sie nicht weiter unser aller Zeit mit Scheindebatten über Probleme, die Sie selbst herbeigeführt haben.

Den Tegel-Scherbenhaufen müssen wir jetzt wieder aufsammeln – und zwar gemeinsam. Denn unsere Demokratie ist verwundbar. Sie wird geschwächt durch Populismus. Das haben wir alle am Sonntag gesehen.

Daher kommen Sie endlich zurück auf den Pfad der Sachpolitik. Denn es wird endlich Zeit wieder nach vorne zu blicken.

Kontrast
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