Beschluss: Klimaschutz ist auch Gesundheitsschutz – den Berliner Hitzschlag vermeiden
„36 Grad und es wird noch heißer…“ gilt es von nun an wohl in jedem Berliner Sommer. Angesichts brauner Baumkronen schon im August, vertrockneter Balkone und glühendem Asphalt vergeht einem da schnell die Sommerlaune. Städte sind Hitzeinseln, die bis zu 8 Grad heißer sind als das Umland. Besonders hart trifft es Menschen, die sich – nicht nur in Coronazeiten – keine Sommerurlaube leisten können, die keine Datscha am Stadtrand und keine Freunde mit Pool haben. Dass sich der Anstieg der globalen Temperatur negativ auf die Gesundheit auswirkt, ist mittlerweile eindeutig belegt. Hitze kann nicht nur Hitzestress und Erschöpfung auslösen oder zum Hitzschlag führen, sondern auch Vorerkrankungen verschlimmern. Vor allem kleine Kinder, ältere Menschen und Pflegebedürftige sowie alle, die im Freien arbeiten, müssen besonders geschützt werden.
Im Hitzejahr 2018 sind allein in Berlin laut Robert Koch-Institut fast 500 Menschen mehr hitzebedingt verstorben als in durchschnittlichen Vergleichsjahren. Besonders betroffen sind ältere Menschen; die Mortalitätsrate stieg dort bis zu 50 Prozent an.
Die Klimakrise und zunehmende Versiegelung verschärfen dieses Problem. Deshalb haben wir Grüne die Anpassung an den Klimawandel zu einer Priorität gemacht. Im Berliner Klima- und Energieprogramm BEK 2030 haben wir ein komplettes Kapitel dazu eingefügt und beschlossen. Es sieht Maßnahmen wie den Ausbau von Frühwarnsystemen, die Thematisierung der Klimaanpassung in der Kranken- und Altenpflege und Anpassungsmaßnahmen im Bereich des ÖPNV vor. Mit der Gründung einer Regenwasseragentur und dem 1.000 Grüne Dächer-Programm haben wir den Weg in Richtung Schwammstadt eingeschlagen, welche Starkregenereignisse besser wegsteckt und dabei das Wasser besser speichert für Zeiten wie diese.
Die zunehmende Bautätigkeit und Hitze steigern den Druck auf unsere über 430.000 Straßenbäume. Deren Pflege und Wässerung liegt bei den Bezirken, weshalb wir im vergangenen Haushalt die Finanzmittel, welche ein Bezirk pro Baum und Jahr zugewiesen bekommt, fast verdoppelt haben. Dennoch kommt der Großteil des Wassers für unser Stadtgrün nicht aus dem Wasserhahn, sondern je nach Standort vom Grundwasser und von oben. Und da der Regen immer unregelmäßiger – und manchmal lange einfach gar nicht – kommt, brauchen wir neue Lösungen für die anstehende Zukunft mit all ihren von uns verursachten Klimakatastrophen und Extremwetterereignissen.
Diesen Sommer muss bei der Prävention hitzebedingter Gesundheitsschäden gleichzeitig dem Infektionsrisiko durch SARS-CoV-2 Rechnung getragen werden. Zum einen, weil sich die Risikogruppen für hitzebedingte Gesundheitsauswirkungen und für schwere Verläufe von COVID-19 überschneiden und damit deren Schutz besonders gefordert ist. Zum anderen, weil die Schutzmaßnahmen unter den Regeln des Infektionsschutzes ausgeführt werden müssen, und das Gesundheitssystem maßgeblich mit COVID-19-Maßnahmen beschäftigt ist. Eine doppelte Welle von COVID-19 und von Hitze-Patient*innen könnte Personal und Einrichtungen des Gesundheitswesens zusätzlich belasten. Vor allem aber wollen wir durch viele ineinandergreifende Maßnahmen dafür Sorge tragen, dass negative gesundheitliche Auswirkungen möglichst gar nicht entstehen oder zumindest abgemildert werden.
Um Menschen, Tiere und unser Stadtgrün besser vor der Hitze zu schützen, ist Vorsorge nötig: Hitzewarnungen durch den Wetterdienst, Informationen für die Bevölkerung, wie auch Ärzte und Pflegeeinrichtungen, sowie städteplanerische und bauliche Maßnahmen. Dabei müssen Risikogruppen besonders geschützt werden. Wir schlagen deshalb folgende Punkte vor:
- Beschleunigter Wandel Berlins unter dem Leitbild der Schwammstadt: Wir wollen dafür sorgen, das Berlin eine Schwammstadt wird: Bei allen neuen Bauvorhaben soll möglichst viel bzw. das gesamte Regenwasser vor Ort im Boden versickern können (dezentrales Regenwassermanagement). Das speichert Wasser für trockene Zeiten. Neue Vorgaben für Dach- und Fassadenbegrünung sowie eine höhere Förderung sollen für mehr Grün an den Gebäuden und damit für eine angenehme Kühlung durch Verdunstung sorgen.
- Mit über 100 neuen Trinkwasserbrunnen im Rahmen des von uns angestoßenen Leitbildes „Blue Community“ lassen wir schon ordentlich Wasser fließen. Mit dem neuen Haushalt beginnen wir auch, an allen Schulen und in Verwaltungsgebäuden Wasserspender zu installieren. Das erfrischt und spart nebenbei Plastikmüll ein. Künftig wollen wir Wasserspender auch in Senior*innen, Pflegeeinrichtungen und Kitas fördern, denn auch dort muss Wasser einfach und für alle verfügbar sein. In einem nächsten Schritt wollen wir öffentlich zugängliche Brunnen an allen zentralen Haltestellen und stark frequentierten Orten (Spielplätze, Einkaufsorte, Sportplätze, Parks, Krankenhäuser) aufstellen. Fokussiert werden Plätze, die von Risikogruppen stark aufgesucht werden. Auch hier denken wir besonders an Kinder, ältere Menschen sowie an Menschen, die auf der Straße leben. Jeder Mensch muss einfach und schnell Zugang zu Trinkwasser haben – unabhängig vom Geldbeutel. Gerade Menschen, die auf der Straße leben, wollen wir durch „cooling points“ die Möglichkeit geben, an öffentlichen Orten wie zum Beispiel Bibliotheken, Schutz vor der Hitze zu finden.
- Mit Kampagnen zur Aufforderung, ausreichend zu trinken, wollen wir in Hitzewellen die Berliner*innen ansprechen. Menschen, die Verantwortung für Risikogruppen tragen (Angehörige und Personal in Kitas, Schulen, Krankenhäusern, in der Pflege, in Senior*inneneinrichtungen etc.), werden gezielt über die Hitzerisiken wie über Konzepte und Strategien zur Regulation von Wasserhaushalt und Temperatur informiert.
- Auf Landesebene schreiben wir Dach- und Fassadenbegrünung in den Bebauungsplänen vor. Die Häuser und die Stadtquartiere, die wir heute bauen, müssen klimafest für die nächsten 100 Jahre sein. Mit Dach- und Fassadenbegrünung werden sowohl die Straßen als auch die Innenräume der Gebäude kühler gehalten. Wir müssen Hitze in Innenräumen auch ohne energieschluckende Klimaanlagen vermeiden.
- Bessere Versickerung, lebendiges Stadtgrün und kühlere Straßen gibt es nur, wenn wir endlich mehr Flächen entsiegeln. Wir schlagen ein landesweites Parkplatz-Entsiegelungsprogramm vor. Wir wollen Berlins Verkehrsinfrastruktur in den nächsten Jahren durch das Entsiegeln und die Umwidmung neu gestalten und überall in der Stadt grüne Oasen mit Wasserbecken, Pocket Parks, Trink- und Spielbrunnen für Mensch und Flora und Fauna entstehen lassen. Auto-Parkplätze sollen in stark verdichteten Stadtteilen entsiegelt und ÖPNV sowie die Fahrradinfrastruktur verstärkt werden. Genau wie an Kreuzungen und für Fahrradbügel sollen die Bezirke auch Parkplätze für neue Bäume umwandeln können. So können auch Straßen mit engen Gehwegen endlich ausreichende Bäume bekommen, ohne dass es für Fußgänger*innen zu eng wird. Neue Stadtplätze, Parkplätze und Straßen, die nicht zum Hauptverkehrsnetz gehören, sollen mit versickerungsfähigem Belag versehen werden. Ein Fokus wird auf häufige Aufenthaltsorte besonders gefährdeter Menschen gelegt. So sollten Flächen insbesondere im Umkreis größerer Senior*innen- und Pflegeeinrichtungen sowie Stadtteilzentren berücksichtigt werden und die Einrichtungen an den städtischen Programmen zur Begrünung und Umgestaltung von Außenflächen beteiligt werden.
- Als Pilotprojekte und zur Veranschaulichung wollen wir nach dem Vorbild Wiens in Berlin mehrere Kühle Meilen etablieren. In diesen wird mit mehr Bäumen, Rank- und Kletterpflanzen, mit Trinkwasserbrunnen, Wasserspielen, Erfrischungsmöglichkeiten für Jung und Alt sowie entsiegelten Stellen und ausreichend Sitzgelegenheiten einem Kiez eine Oase geschenkt. Sie sollen verkehrsberuhigt sein und eine hohe Aufenthaltsqualität haben. Wichtig ist, dass ein Aufenthalt nicht an einen Konsum gebunden ist und allen Menschen gleichsam zugutekommt. Mit diesen klimaangepassten Straßen, wie sie der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gerade einführt, wollen wir die Lebensqualität der Menschen steigern und vor Ort die Stadt vor dem Hitzeschlag retten. In den neuen Stadtquartieren und bei der Innenentwicklung sollen die „Kühlen Meilen“ gleich mit eingeplant werden.
- Kurzfristig wollen wir mit neuen temporären hitzegeschützten Orten durch mobile Beschattungen und Stadtmöbel in Berlin eine neue Aufenthaltsqualität auch mitten in der Hitzewelle erreichen. Perspektivisch wollen wir mehr zentrale nicht-kommerzielle kühle öffentliche Orte wie Stadtteilzentren, Stadtteilgärten schaffen und bisherigen Verweilorten oder Spielplätzen mehr Schatten spenden.
- Auf Bundesebene muss in der Baunutzungsverordnung (BauNVO) ein qualitativ begründetes System von Richt- und Kennwerten der Grünversorgung etabliert werden. Statt Autostellplätze zu genehmigen, welche viele Menschen ohnehin nicht mehr brauchen, wollen wir Bäume vorschreiben. Davon haben alle Lebewesen und der Planet etwas.
- Für alle Kieze braucht es Hitzeaktionspläne, welche Hitzeinseln sichtbar machen und Maßnahmen und Zeitpläne vorschreiben.
- Die Berliner Umweltgerechtigkeitskarte zeigt auf, wo Menschen von Hitze betroffen sind, die auch unter anderen Umwelteinflüssen wie Lärm stark betroffen sind und zudem ein geringeres Einkommen haben. Ebenso gibt der Sozialstrukturatlas gute Hinweise, wo ein erhöhter Handlungsbedarf besteht. Wir wollen die Mittel des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“ verstärkt auch für Begrünungen und Entsiegelungen einsetzen, sowie ein neues Bund-Länder-Programm „Grüne Infrastrukturen“ in der Städtebauförderung.
- Ehrenamtliches Wassergießen muss besser unterstützt werden: Auch wenn die Stadtbäume als öffentliche Infrastruktur primär in der Verantwortung des Staates liegen, braucht es leider doch jede helfende Hand. Die Bezirke bzw. die zuständigen Senatsverwaltungen und der Bund sollten engagierten Bürger*innen die Straßenpumpen, Wasserhydranten o.Ä. zur Verfügung stellen und wir wollen prüfen, ob unwillige Vermieter*innen nicht gezwungen werden können, bei hohen Temperaturen die Außenwasserhähne freizugeben. Viele machen das schon, doch noch immer müssen Baumschützer*innen Wasser aus ihren Wohnungen runter zu den Bäumen tragen, weil Hähne abgeschraubt wurden.
- Arbeiten nur mit kühlem Kopf. Ein Recht auf Home-Office für alle Beschäftigten, sofern dem keine betrieblichen Gründe entgegenstehen, kann bei Hitzewellen zum Gesundheitsschutz beitragen. Arbeitnehmer*innen, die im Freien arbeiten und der Hitze besonders ausgesetzt sind (z.B. auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder Gebäudereinigung) müssen bei gesundheitsgefährdender Hitze ein Recht auf Hitzefrei, also reduzierte Arbeitszeit, erhalten. In Betriebsvereinbarungen können und sollten passgenaue Lösungen zum Thema „Hitzefrei“ getroffen werden. Die Landesverwaltung muss hier als Vorbild vorangehen. Wir brauchen kühle Arbeitsräume in verschiedenen Branchen, z.B. im Krankenhaus sowohl für das Personal, das gerade jetzt unter Pandemiebedingungen noch häufiger mit kompletter Schutzausrüstung arbeiten muss, als auch für Patient*innen.
- Auch Berlins tierische Bewohner sollen gut durch die Hitze kommen. Deshalb werden wir bei der Neu- bzw. Umgestaltung von Parks und darüber hinaus in den Kiezen darauf achten, dass für Tiere ausreichend Wasserquellen zur Verfügung stehen. Dies können Trink- oder Spielbrunnen sowie klassische Wassertränken sein. Über Hitzefrei freuen sich auch Berlins Kutschpferde. Daher drängen wir auf die Einhaltung der vorgegebenen Leitlinie.
- Wir wollen die Untersagung von Schottergärten endlich durchsetzen. Sie sind nicht nur ein ökologischer Sündenfall, weil dort nichts brummt oder wächst. Das Regenwasser kann oft nicht richtig versickern, die Luft darüber ist trockener und die Steine heizen sich bei Hitze stark auf. Die Wärme wird bis in die Abend- und Nachtstunden gespeichert und nach und nach abgegeben. Diesen Saunaeffekt braucht keine Stadt.