Rede von Antje Kapek zum bundesweit ersten Mobilitätsgesetz in der Aktuellen Stunde am 28. Juni 2018
*** Es gilt das gesprochene Wort ***
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
heute legen wir den Grundstein für die Mobilität der Zukunft. Unser Mobilitätsgesetz ist nicht nur das erste deutschlandweit, sondern auch etwas ganz Besonderes. Denn es setzt einen neuen Standard für die Berliner Verkehrsplanung. Einen Standard, der anderen Städten als Blaupause dienen wird. Damit ist Berlin ab heute Avantgarde. Und dafür möchte ich mich bei allen Beteiligten bedanken. Und später auch mit Ihnen bei einem Radler feiern.
Seit Kriegsende wurde Berlin vor allem fürs Auto geplant. Und bekam dafür gerade erst den Titel: “autofreundlichste Stadt Europas”. Völlig absurd. Denn ein Großteil der Menschen hier ist gar nicht mit dem Auto unterwegs, sondern zu Fuß, mit dem Rad, Bus oder Bahn. Wenn die CDU also eine “Gleichbehandlung der Verkehrsträger” einfordert, kann ich nur sagen: Springen Sie über Ihren ideologischen Schatten und stimmen Sie diesem Gesetz zu. Denn genau das tun wir hier und heute, indem wir dem Umweltverbund endlich Vorfahrt geben.
Dieses Gesetz denkt erstmals den Rad- und den Fußverkehr, den öffentlichen Nahverkehr und den Wirtschaftsverkehr zusammen, statt in Konkurrenz zueinander. Erstmals wird der öffentliche Raum gerecht verteilt: Fußgänger, Radlerinnen, Bus und Bahn erhalten ab jetzt den Platz, der ihnen zusteht. Eine klare Verkehrsführung löst Konflikte und schafft Ordnung, wo bislang Chaos herrschte. Berlin wird lebenswerter und sicherer. Und das ist doch das, was wir alle wollen.
Die Berlinerinnen und Berliner leben die Verkehrswende schon heute. Deshalb haben 100.000 Menschen den Radentscheid unterschrieben. Sie mussten lange auf Rückenwind warten. Der kommt jetzt! Mit rund 100 Millionen Euro im Haushalt und ordentlich mehr Personal für den Ausbau der Radinfrastruktur – von gerade mal zwei Stellen auf heute 60 und bald 80. Plus zwei zusätzlicher Stellen für jeden Bezirk. Und finally: Vollendet der heutige Beschluss den Dreiklang, den wir für die Verkehrswende brauchen. Geld, Personal, rechtliche Grundlage– jetzt liegt das Fundament für eine Verkehrspolitik, die an alle denkt.
Auf diesem Fundament müssen wir Berlin jetzt umbauen und das so schnell wie möglich. Es geht sonst auf Kosten der Schwächsten! Jeden Tag werden im Berliner Straßenverkehr drei Kinder verletzt. Die besonders tragischen Verkehrsunfälle der letzten Wochen haben erneut gezeigt: Eine falsche Verkehrspolitik kann Leben kosten.
Das hat uns auf besonders grausame Art der Tod eines achtjährigen Jungen vor genau zwei Wochen in Spandau vor Augen geführt. Mich hat dieser Unfall nachhaltig verstört. Denn um exakt dieselbe Uhrzeit, zu der dieser Achtjährige von einem tonnenschweren Lastwagen beim Rechtsabbiegen überfahren wurde, fuhr auch ich mit meinem ebenfalls 8-jährigen Sohn mit dem Fahrrad zur Schule und auch uns kam ein riesiger Laster gefährlich entgegen. Die Mutter des Jungen fuhr genau wie ich hinter ihrem Sohn und musste alles mit ansehen.
Als kurze Zeit später die Unfallmeldung kam, hatte ich sofort das Bild meines eigenen Kindes vor Augen. Und auch wenn das jetzt sehr persönlich ist: ich muss seitdem ständig an die Eltern des kleinen Jungen denken und es treibt mir die Tränen in die Augen. Ich weiß, dass es vielen hier ähnlich geht.
Es gibt nichts, was dieses Kind zurück bringt. Nichts, was den Schmerz über seinen Tod lindern könnte. Aber es gibt etwas, was wir als Politik tun können und müssen. Nämlich alles in unserer Macht stehende zu unternehmen, um Berlins Straßen endlich sicherer zu machen. Damit sich so etwas nicht wiederholt.
Und all denjenigen, die auch heute mal wieder vom “Kulturkampf gegen das Auto”, “Klientelpolitik” oder “ideologischer Verblendung” reden wollen, denen möchte ich empfehlen vorher noch einmal in sich zu gehen. Denn ich finde es zynisch, wenn genau einen Tag nach dem tragischen Unfall in Spandau hier im Plenum nach Maßnahmen gegen sogenannte Kampfradler gefragt wird.
Und ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie wütend mich sowas macht. Im besten Fall sind solche Fragen gedankenlos. Im schlimmsten Fall sind sie herzlos. Aber vor allem sind sie populistisch. Denn eines ist sicher: Die Verwendung des Begriffs “Kampfradler” bedient das Bild des bösen Radfahrers, der selbst Schuld ist. Das verharmlost nicht nur, dass Radfahrer im Verkehr besonders gefährdet sind, sondern auch, dass es einen gewaltigen Unterschied zwischen einem Blechschaden und einem Knochenbruch oder Schlimmerem gibt. Solche Fragen können dem gesellschaftlichen Zusammenhalt schaden. Weil sie ein Klima fördern, in dem man mit dem Finger aufeinander zeigt und die Stimmung auf der Straße noch rücksichtsloser wird. Wenn man das nicht will, dann sollte man solche Fragen gefälligst unterlassen.
Dieser kleine Junge war unter Garantie kein sogenannter Kampfradler. Und weder Helm- noch Kennzeichnungspflicht seines Fahrrads und auch keine Videokamera der Welt hätten ihn retten können. Das hätte nur ein sicherer Radweg, eine separate Ampelschaltung und ein Abbiegeassistent vermocht.
Die überwiegende Zahl von Verkehrsopfern sind Kinder oder ältere Menschen, die zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sind. Und für genau diese Menschen ist das Berliner Mobilitätsgesetz. Es ist ein Gesetz zum Schutz der Berliner Kinder. Auch unserer Kinder und Enkelkinder. Zum Schutz von Menschen die schlecht hören, sehen oder laufen. Ein Gesetz für die Schwächsten auf unseren Straßen. Und wenn das Klientelpolitik ist, bitteschön. Klientelpolitik für Kinder mache ich gerne und mit größter Überzeugung.
Es ist aber nicht nur unsere Pflicht und Verantwortung die schwächsten Verkehrsteilnehmer besser schützen, sondern auch Ihre, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Opposition. Und deshalb erwarte ich hierbei Ihre Unterstützung. Wir alle müssen dafür sorgen, dass in Berlin jedes Kind überall sicher mit dem Rad zur Schule fahren kann.
Dafür werden wir Berlins Kreuzungen, Rad- und Fußwege so sicher machen, dass sich hier jede und jeder trauen kann, aufs Rad zu steigen oder ohne Angst über die Straße zu gehen.
Dafür sanieren wir Gehwege, machen sie barrierefrei und machen so die Stadt für alle begehbar.
Vor allem aber nutzt in Berlin niemand nur ein Verkehrsmittel. Deshalb wollen wir den Umstieg maximal einfach und bequem machen, indem wir auf ein Ticket und eine App für Bus, Bahn, Car- und Bikesharing setzen. Und damit man auch ohne Auto gut von A nach B kommt – egal ob in Spandau, Kreuzberg oder Königs-Wusterhausen – bauen wir den ÖPNV aus und um. Zusätzlich werden Tickets und Tarife günstiger, damit die Fahrt mit den Öffis für jeden Geldbeutel erschwinglich wird.
Außerdem tut unser Mobilitätsgesetz etwas für die Berliner Luft und damit für unsere Gesundheit: Busse und Bahnen, fahren spätestens ab 2030 klimaneutral und durch Umladestationen und Lastenräder, brummen künftig die Innovations- statt der Dieselmotoren in Berlin.
Und zu guter Letzt schaffen wir mehr Platz auf den Straßen – für die, die ihn wirklich brauchen. Egal ob Rettungs- oder Pflegedienste, Hebammen, Handwerker oder Lieferverkehr, sie alle müssen schneller vorankommen. Denn Zeit ist Geld und jede Sekunde kann Leben retten.
Sie sehen, bei diesem Gesetz gibt es keine Verlierer. Alle gewinnen. Sogar meine Schwiegermutter aus Holland wird sich bald trauen mit meiner 5-jährigen Tochter in Berlin Rad zu fahren.
Damit sich in Berlin was dreht, müssen wir das Rad nicht neu erfinden. Aber wir geben ihm endlich den nötigen Schwung. Das Mobilitätsgesetz ist der Startschuss für eine gerechte, eine gesunde und vor allem für eine sichere Verkehrspolitik. Ab jetzt können wir alles besser machen und das sollten wir auch. Lassen Sie uns das heute feiern. Dieses Gesetz ist ein guter Grund.